Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
verdienen.«
»Indem man Embryos umbringt oder einfach nur stiehlt?«
Hatte ich das nicht schon Äonen zuvor gefragt?
»Zuckerman hätte ewig nur Eier und Spermien in ihren kleinen Schälchen zusammengemischt. Mein Weg war schneller. Er hätte funktioniert.«
Ich wollte die Augen schließen.
»Sie wissen, dass es vorbei ist«, sagte ich.
»Es ist vorbei, wenn ich es sage.«
Ich wollte aufhören, ihm zuzuhören, und schlafen.
»Man wird Zuckermans Tod aufklären. Ihr Labor wurde bereits durchsucht und versiegelt.«
»Sie lügen.« Der untere Rand seines Auges zuckte.
»Zwei Detectives sind auf dem Weg hierher. Ich sollte mich hier mit ihnen treffen.«
Lucas fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Ich redete weiter auf ihn ein, obwohl ich kaum wusste, was ich sagte.
»Und auch über Chupan Ya wird die Wahrheit ans Licht kommen. Wir dokumentieren, was mit diesen armen Menschen passiert ist.« Meine Knie gaben nach. »Und die Erpressung ist vorbei. Díaz’ Verwicklung in das Massaker wurde aufgedeckt. Er wird nicht länger Ihr Lakai sein.«
Lucas’ Finger umspannten den Pistolengriff fester.
»Jorge Serano ist in Haft. Die Polizei wird ihm einen Handel anbieten, und er wird Sie hinhängen.«
Ein verächtliches Lachen. »Hinhängen weswegen? Weil ich ein paar tote Babys gestohlen habe?«
»Wegen des Mordes an Patricia Eduardo.«
Lucas zuckte mit keiner Wimper.
»Das Skelett ist längst verschwunden. Die Identität wird man nie eindeutig bestimmen können.«
»Sie haben eins vergessen, Dr. Lucas. Patricias ungeborenes Baby. Das Baby, dem Sie den ersten Atemzug verweigert haben.«
In der Entfernung war eine Sirene zu hören. Lucas riss den Kopf nach links, wandte sich dann wieder mir zu.
Rede weiter!
»Ich habe die Knochen des Babys in der Kleidung der ermordeten Mutter gefunden. Diese Knochen werden uns DNS liefern.«
Meine Stimme klang, als würde sie aus immer weiterer Entfernung kommen.
»Diese DNS wird der einer Probe entsprechen, die wir von Patricia Eduardos Mutter bekommen haben. Dieses Baby wird noch im Tod Ihr Schicksal besiegeln.«
Lucas’ Fingerknöchel wurden weiß, seine Augen hart und schwarz. Der Blick eines Heckenschützen, eines Terroristen, eines Geiselnehmers, der sich in die Ecke getrieben sieht. Die Erkenntnis, dass es keinen Ausweg mehr gibt.
»In dem Fall könnte ich jetzt gut mit Ihnen abrechnen. Was ist denn schon eine mehr?«
Ein Schleier legte sich vor meine Augen. Ich konnte nicht sprechen. Konnte mich nicht bewegen. Ich würde in einer Leichenhalle in Guatemala sterben.
Dann: »Sie sind raffiniert und einfallsreich, Dr. Brennan. Das muss ich zugeben. Betrachten Sie dieses als Ihr glücklichstes Jahr.«
Durch einen schwarzen Nebel sah ich, wie Lucas die Waffe von meiner Brust zurückzog, sich den Lauf in den Mund steckte und abdrückte.
30
Die Geschichte schaffte es weder in Guatemala noch in Kanada in die Schlagzeilen.
In Guatemala City brachte La Hora eine kurze Meldung über die Klageerhebung gegen Miguel Angel Gutiérrez wegen heimtückischen Mordes. Claudia de la Aldas Mutter wurde dahin gehend zitiert, dass sie zufrieden sei mit dem Verlauf der Ermittlungen. Zwei kurze Spalten. Seite siebzehn.
In verschiedenen Artikeln wurden die Morde an Patricia Eduardo und Maria Zuckerman dem organisierten Verbrechen zugeschrieben, und Lucas’ Tod wurde als Selbstmord klassifiziert.
Kein Wort über Stammzellen.
In Montreal brachten La Presse und die Gazette kurze Folgeartikel über die Schießerei auf der Rue St. Catherine. Zusätzlich zu Carlos Vicente war in Guatemala City ein zweiter Verdächtiger identifiziert worden. Der Mann starb, bevor er verhaftet werden konnte. Punkt. Keine Spekulation in Bezug auf das Motiv, warum ein Guatemalteke in Montreal einen Amerikaner erschoss.
Nirgendwo stand etwas über Antonio Díaz, Alejandro Bastos oder André Specter. Díaz blieb Richter, Specter Botschafter.
Bastos blieb aller Wahrscheinlichkeit nach tot.
Ich werde wohl nie wirklich wissen, warum Hector Lucas die Waffe gegen sich selbst richtete. Ich glaube, es war eine Mischung aus Arroganz und Verzweiflung. Er sah sich als höheres Wesen, und als er erkannte, dass es vorbei war, wollte er sein Ende selbst bestimmen. Ich glaube, es war auch Arroganz, die ihn dazu brachte, mich zu verschonen. Er wollte mich wissen lassen, dass er es war, der die Entscheidung über mein Leben traf, und er wollte, dass mir das immer in Erinnerung blieb. Auch eine Form von Gedenken.
Am
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