Knochenpfade
der Hand des Teams über ihr. Heute und nächste Woche und in der Woche darauf würden es diese Männer hier sein. Und solange sie sich in der Gruppe nicht richtig bewährt hatte, wäre sie für die Typen immer noch “die Rettungsschwimmerin”. Nicht “unsere Rettungsschwimmerin”.
Liz ließ sich ihre Vorbehalte nicht anmerken. Sie vermied es, Wilson anzusehen, und gab vor, sich mehr für die Wellen unter ihnen zu interessieren. Dabei hörte sie einfach zu. Über das CIS-Kommunikationssystem in ihrem Helm verfolgte sie Lt. Commander Wilsons Erläuterungen zum angedachten Einsatz. Er wies seinen Co-Piloten Tommy Ellis und ihren Flugmechaniker Pete Kesnick an, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Das hieß, den RS – den Rettungsschwimmer – und den Korb in Stellung zu bringen. Er hatte den Hubschrauber bereits von sechzig Metern Höhe auf fünfundzwanzig absinken lassen.
“Das könnte einfach nur ein leerer Fischkühler sein”, bemerkte Kesnick.
Liz beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Kesnick, dem Ältesten im Team, gefiel das ebenso wenig wie ihr. Seine wettergegerbten gebräunten Züge blieben aber stets unbewegt. Man konnte ihm nie ansehen, ob ihn etwas ärgerte oder seine Zustimmung fand.
“Es könnte auch Kokain sein”, warf Ellis ein. “In Texas haben sie irgendwo fünfzig Kilo gefunden, die an den Strand gespült wurden.”
“McFaddin Beach”, sagte Wilson. “Versiegelt und in dicke Plastiktüten verpackt. Jemand hat die Abwurfstelle nicht gefunden oder die Ware in Panik weggeworfen. So was könnte das hier auch sein.”
“Sollten wir dann nicht besser eine Meldung funken und das hier dem Küstenwachboot überlassen?”, fragte Kesnick und warf Liz einen kurzen Blick zu. Sie war sich sicher, dass er ihr etwas zu signalisieren versuchte: Sollte sie beschließen, den Einsatz abzulehnen, würde er sie unterstützen.
Wilson entging der Blick nicht. “Sie haben die Wahl, Bailey. Wie entscheiden Sie sich?”
Sie sah ihm immer noch nicht in die Augen. Wollte ihm nicht die Genugtuung verschaffen, auch nur den Ansatz eines Zögerns bei ihr zu entdecken.
“Wir sollten die MedEvac-Trage benutzen und nicht den Korb”, sagte sie. “Die kann man leichter unter den Container schieben, um ihn für den Transport festzuschnallen.”
Sie wusste, dass sie Wilson mit ihrer Antwort überrascht hatte. Ohne weiter auf ihn zu achten, streifte sie sich den Flughelm vom Kopf und kappte so ihre Kommunikationsmöglichkeit. Sie verhielt sich betont unbekümmert und hoffte, Ellis oder Kesnick so von irgendwelchen Bemerkungen über sie abzuhalten.
Liz schob ein paar lose Strähnen ihres Haars unter die Schwimmkappe und setzte den leichten Sedahelm auf. Sie befestigte den Haltegurt an ihrer Ausrüstung, schob sich die Riemen über die Schultern und prüfte, ob sich der Gleitriegel dicht genug am Zughaken befand. Die Ausrüstung vollständig angelegt, ging sie vor der Ausgangsluke in Hockstellung und wartete auf Kesnicks Signal.
Sie musste ihn ansehen. Seit sie ihre Arbeit in der Flugbasis aufgenommen hatte, waren sie diese Routine mindestens ein halbes Dutzend Mal durchgegangen. Liz nahm an, dass Pete Kesnick sie nicht anders behandelte als alle anderen Rettungsschwimmer in den vergangenen fünfzehn Jahren seiner Laufbahn als Küstenflugmechaniker. Auch jetzt schien er nicht an ihren Fähigkeiten zu zweifeln. Trotzdem kam es ihr vor, als musterte er sie mit seinen stahlblauen Augen einen Moment länger als üblich, bevor er sein Visier herunterklappte.
Er tippte sie an, das übliche Zeichen für “bereit” – zwei mit Handschuhen bekleidete Finger auf ihrem Schlüsselbein. Sicher nicht genauso, wie er es bei den männlichen Rettungsschwimmern tat. Das störte Liz überhaupt nicht weiter. Es war nur eine Kleinigkeit, ein Verhalten, das mehr aus Respekt resultierte.
Sie löste die Sperre des Haltegurts. Dann gab sie Kesnick das Okayzeichen mit erhobenem Daumen und signalisierte ihm so, dass sie bereit wäre. Er hob sie über den Rand des Decks, und Liz musste im Flug das sich blitzschnell entrollende Sicherungsseil kontrollieren. Dann stoppte Kesnick den Seillauf. Die Halteleine straffte sich, und Liz rückte ihre Ausrüstung zurecht. Sie blickte nach oben und gab Kesnick erneut das Okay-Zeichen, bevor sie sich zu den tosenden Fluten hinunterhangelte.
Liz machte sich schnell ein Bild von der Lage und vergewisserte sich, dass es keine Menschen in Seenot gab. Der Container war riesig. Fast zwei Meter lang
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