Knochenpfade
verunsichert zu sein.
“Sie werden ihre Rettungsschwimmerin nicht hier zurücklassen”, sagte Walter.
Liz brachte es nicht übers Herz, ihrem Vater zu sagen, dass es so nicht lief. Nach Katrina hatte sie es schon einmal erlebt. Der Hubschrauber war damals bereits vollgepackt mit Verletzten, und der Treibstoffanzeiger hatte eine bedenklich niedrige Markierung erreicht. Liz hatte ihnen signalisiert, weiterzufliegen, während sie auf dem Dach eines Wohnhauses zurückblieb. Zusammen mit einem Dutzend weiterer Überlebender, die wütend und ungeduldig warteten, dass sie auch an die Reihe kamen. Es war schon Abend, als ihr Team dann endlich wieder zurückkehrte.
“So bekomme ich sogar drei gesunde Körperspender”, begann Joe nun zu schwadronieren. “Ich habe zwar nicht mehr genug Eis, aber ich denke, ich könnte zwei von euch hinten ans Boot binden. Mit Schwimmwesten.”
“Körperspender!”, sagte die kleine schmale Frau verächtlich, als sei sie nur angewidert und hätte überhaupt keine Angst. “Sie wollen meine Körperteile für ein paar lächerliche Dollar verscherbeln? Ist das Ihr Plan, junger Mann?” Sie hielt sich den verletzten Knöchel, aber das konnte ihren Redefluss nicht stoppen. “Dann muss ich Ihnen aber sagen, dass mein Mann damals für Millionenbeträge umgebracht wurde. Millionen! ”
Joe Black beachtete die Frau nicht. Er stützte sich an den Wänden der Treppe ab. So blockierte er ihnen den Weg und hatte dabei alle gleichzeitig im Auge. Mit der Hand fest am Geländer konnte er sich so während des ständigen Schwankens halten. Als Liz bei der nächsten Schiffsbewegung fast gestürzt wäre, ging er blitzschnell in die Hocke und hielt den Revolver weiterhin auf ihre Schläfe gerichtet.
Inzwischen wurden die Wellenkämme immer höher und das Schaukeln mit jedem Mal heftiger. Das Getöse war ohrenbetäubend. Irgendwo über ihnen krachte etwas schwer aufs Deck. Sie blickten nach oben. In dem Moment heulten die Hubschrauberrotoren auf und das Geräusch entfernte sich langsam. Innerhalb von Sekunden war nichts mehr zu hören. Die Rettungsmannschaft hatte abgedreht.
Liz warf ihrem Vater einen Blick zu. Sie wusste, dass ihr Team nicht hatte hierbleiben können. Ein Küstenwachboot würde unter diesen Bedingungen ewig brauchen, um sie zu finden. Wenn es nicht schon zu gefährlich war, es überhaupt zu versuchen. Das hier war etwas anderes als ihr Erlebnis auf dem Häuserdach nach Katrina. Diesmal würde niemand zurückkommen.
Joe Black grinste.
“Also, wer möchte als Erster dran glauben?”, fragte er in die Runde.
Wenn Liz versuchte ihn anzugreifen, würde er sie erschießen, bevor sie überhaupt die Waffe zu fassen bekäme. Was hatte sie zu Maggie O’Dell gesagt? Es hatte nichts mit Mut zu tun. Es ging ums reine Überleben. Gegen die Wellen anzukämpfen oder sich an einem Seil herunterzulassen, machte ihr keine Angst. Selbst wenn sie von verzweifelten Überlebenden bedroht wurde, verließ sie sich auf ihre Ausbildung und ließ ihr Adrenalin für sich arbeiten. Vielleicht konnte sie dem Typen sein Vorhaben ja ausreden.
Joe Black richtete seine Pistole auf Liz, als habe er ihre Gedanken erraten.
“Ein Küstenwachboot ist unterwegs hierher”, log sie. “Die Hubschraubercrew hat es anscheinend schon gesichtet. Deshalb haben sie abgedreht.”
Sie konnte sehen, wie er diese Möglichkeit in Betracht zog. An Deck war ein Aufprall zu hören, und er warf kurz einen Blick nach oben. Wieder klatschte eine Welle über das Boot. Ein lautes Quietschen ertönte, als etwas übers Deck rutschte.
“Das Schiff wird auseinanderbrechen!”, rief die alte Frau.
“Halt dein verdammtes Maul!”, schrie Joe Black sie an. Dann stellte er sich auf der Treppe wieder in Position und zielte.
“Nein!”, hörte Liz ihren Vater schreien, dann folgte ein Schuss.
Liz kniff die Augen zusammen und wappnete sich für den Schmerz. Aber da war nichts. Als sie die Lider wieder öffnete, sah sie, wie Joe Black nach vorn stürzte. Die eine Hand presste er auf sein Bein, in der anderen hielt er immer noch die Waffe.
Von oben auf der Treppe rief jemand: “FBI! Waffe fallen lassen! Sofort!”
Er zögerte.
Ein weiterer Schuss fiel und schlug dicht neben ihm im Teppich ein.
Joe Black warf seine Waffe weg.
Liz stand da wie gelähmt, als Maggie O’Dell die Treppe herunterkam, die Pistole immer noch auf Joe Black gerichtet.
“Liz, nehmen Sie seine Waffe an sich.”
Liz bückte sich automatisch danach.
“Ist er der
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