KNOI (German Edition)
es möge, wenn er sie lecke, mit wie vielen Männern sie schon geschlafen habe, ob sie in einem anderen Land leben wolle, Land oder Stadt, Hund oder Katze, L.A. oder N.Y. Überall gab es eine wie Marie. Erst als er den Wodka ausgetrunken hatte, sprang er auf und zog sie vom Bett. Nein, sagte sie, du hast getrunken. Doch, sagte er. Freihändig bis ans Wasser fahren. Sich in den Wellen lieben. Letztendlich wurde ihr die eigene Geilheit zum Verhängnis.
Diese Stille. War sie immer da gewesen? Sie war ihm nie aufgefallen. Sonst war da immer zumindest das Rauschen von fernem Verkehr. Immer etwas, das sich darüberlegte. War die Zivilisation ein Ablenkungsmanöver? Es war so still, dass er sich für tot hielt. Er raffte sich auf. Geräuschlos. Betrachtete die Wunde an seinem Arm. Schmerzlos. Blut lief über seine Wange. Nicht kalt. Nicht warm. In seinem Kopf ein grelles Knacksen, blechern wie eine überhitzte Motorhaube. Das Moped war die Klippe hinuntergefallen. Er war abgesprungen und die Bergstraße hinuntergeschleudert worden. Beim ersten Aufschlag. Schwarz. Er hatte ihren Namen vergessen. Jakob. Jakob Schober, 17.3.1975. Der Wind hatte sie in einem Zug fortgetragen. Bestimmt wollte er sie nur in Sicherheit bringen. Nichts wies auf einen Unfall hin. Keine Leiche. Keine Havarie. Keine Rettung. Niemand blieb stehen. Ein Betrunkener. Ein Kind presste das Gesicht gegen die Scheibe. Marie. Sie hieß Marie. Es war seine Schuld. Viel zu schnell gefahren. Sie hatte ihre Finger in seine Schultern gekrallt. Ihre Angst hatte ihn erregt. Orgasmus. Schneller. Aufs Gas. Sie schrie: Jakob. Er schrie: Magst du das? – Jakob! – Magst du das? – Ja! – Wenn ich dich –
Schwarz.
Man konnte ihm keinen Vorwurf machen.
Das Auto, das sie gerammt hatte.
Ein riskantes Überholmanöver.
Sie hatten keine Chance.
Er hatte getrunken.
Er wankte, weil er betrunken war.
Noch immer fehlte die Leiche.
Ohne Leiche kein Mord.
Wo ist der Wagen?
Fahrerflucht.
Beide.
Wahrscheinlich ein Straßenrennen.
Keiner würde ihm glauben.
Einfach loslaufen.
Die Straße hinunter.
Das Motorrad als gestohlen melden.
Mutter anrufen.
Als Kind lief er immer zur Mutter, nie zum Vater.
Mit niemandem reden.
Ein Leben lang.
Nur diese Stille war ewig.
Mutter und Vater.
- Ein Unfall.
- Ein schwerer Unfall.
- Das sieht nicht gut aus.
- Typisch Jakob.
- Ist das Auto Vollkasko versichert?
- Das beige Leder macht nur Schwierigkeiten beim Putzen.
- Abstand halten.
- Man muss immer mit einem Fehler eines anderen Verkehrsteilnehmers rechnen.
- Ihr passt doch gar nicht zusammen.
- Eine Schauspielerin, mein Gott!
- Du kannst von Glück reden, dass nicht mehr passiert ist.
- Du bist kein Vater, Jakob.
- Studier doch Jus, mein Kind.
- Nur Bestatter werden immer gebraucht.
- Sie sieht ganz anders aus als Rita.
- Du bist nur müde.
- Ja, leg dich hin.
Im Rettungswagen hatte er kurz die Augen geöffnet. Der Sanitäter sagte etwas, aber Jakob verstand ihn nicht. Er stellte ihm eine Frage.
- Jakob Schober. 17.3.75.
Aber das wollte er nicht wissen. Es war eine medikamentöse Müdigkeit. Als er aufwachte, hatte er keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Die Schwester trug das Haar nach hinten gebunden. Sie roch unter den Achseln. Länger als vierundzwanzig Stunden. Das konnte er an ihren Mundwinkeln ablesen. Länger als drei Wochen? Er hatte mit Rita noch drei Wochen vereinbart. Hatte er die Frist verschlafen? Aufstehen. Ging nicht. Die Krankenschwester kommandierte ihn herum. Diese Sprache klang immer nach Revolution. Jakob gehorchte. Die Eltern. Waren sie verständigt worden? Marie. Er fragte nach Marie. Keine Marie. Sicher keine Marie? Nein, kein Unfall mit einer Marie. Bestimmt nicht. Marie? Noch nie gehört. Dann schlief Jakob wieder ein und wachte erst auf, als er das Gesicht seiner Mutter sah.
Sie hielt seine Hand. Sie sagte: Jakob. Unbegreiflich, was mit dem Namen, den sie ausgesucht hatte, bislang passiert war. Und damit auch ihr. Sie sagte ihm vor, was es zu erinnern gab. Du hattest einen Unfall. Du warst betrunken. Du warst auf einem Motorrad unterwegs. Der vorwurfsvolle Ton war aus ihrer Stimme gewichen. Von Marie erwähnte sie nichts. Dann stolperte Vater mit zwei Bechern Kaffee ins Zimmer.
Er ist wach, sagte die Mutter, und der Vater nickte und murmelte, wach. Niemand habe die Frau auf seinem Motorrad gesehen, sagte die Mutter, ob er sich da ganz sicher sei. Ob Rita von der Frau wisse, fragte der Vater. Sie kannten ihren Namen
Weitere Kostenlose Bücher