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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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ihr geblieben, sondern ausschließlich wegen seines schlechten Gewissens. Und dann sagte er: Marie. Er versuchte alles, was er zu sagen hatte, in dieses eine Wort zu legen, doch sie fauchte, Marie gebe es nicht mehr, ob er glaube, dass man im Rollstuhl noch spielen könne. Vernichtet habe man sie, nichts habe man übriggelassen, alles, was Marie ausgemacht habe, habe man in diesem künstlichen Tiefschlaf versenkt. Die Marie, die mit ihm an den Strand gegangen war, die würde es nie mehr geben, die leichte Marie sei einer schweren gewichen, einer molkigen, einer aufgedunsenen, einer stumpfen Marie. Aus Marie habe man wieder Jennifer gemacht, die Jennifer, die man schön brav am Boden halte, die Jennifer aus Rohrbach, die von Glück reden könne, wenn jemand bei ihr bleibe, um sie ein wenig durch die Gegend zu schieben. Zu weit ausgeflogen, ja, sie habe sich zu weit vom Schwarm entfernt, als dass Rohrbach das noch akzeptieren könne, und daher habe man sie vom Himmel geschossen, damit sie am Rohrbacher Asphalt kleben bleibe, um darum zu betteln, wieder in den Schwarm der nichtfliegenden Rohrbacher zurückkehren zu dürfen. Man würde ihr dann großzügig die Hand entgegenstrecken, sie hochheben, allen Rohrbachern zeigen, was aus einer werden würde, die sich zu weit vom Rudel entferne, und dann würde man sie in den Rollstuhl setzen und erst mal stehenlassen, damit sie wisse, was sie an Rohrbach habe. Sie sagte Rohrbach, sie sagte Boden, sie sagte, da werde sich der Rohrbacher wundern, und dann verschwand sie im Gemurmel, und der Arzt sagte, das seien wohl die Medikamente, und Jakob fragte sich, ob er gemeint war, ob er für sie der Rohrbacher war, und er sagte sich, dass er jetzt auf keinen Fall gehen konnte, selbst wenn er gewollt hätte.
    Es werde keine Geschichte mehr ohne Jennifer geben, sagte er sich, so wie es für sie keine mehr ohne Jakob geben würde. Egal, ob er jetzt blieb oder ging. Sie hätten ihre Hände in den Taschen lassen sollen. Sie würden sich jetzt immer miterzählen, so wie er Rita miterzählt hatte, seine Eltern miterzählte. Nur sein Bruder war aus der Erzählung verschwunden. Ohne dass er es gemerkt hatte, war ihm Konrad über die Jahre abhandengekommen.
    Jakob griff zum Telefon, setzte sich in den Sand und erzählte seinem Bruder alles, was es zu erzählen gab. Konrad schüttelte nicht den Kopf. Er seufzte kein einziges Mal. Dachte sich aber, dass jeder tragische Vorfall in einem anderen Leben die Wahrscheinlichkeit eines tragischen Vorfalls in seinem eigenen Leben verringerte. Jeder ist sein eigenes Festland, sagte sich Konrad, der schon als Kind einen Kopf größer als alle anderen war. Obwohl es nichts mit der Größe zu tun hatte, ob etwas Festland oder Insel war. Eher mit dem Wind, dachte Jakob. Auf einer Insel war einfach mehr Wind. Und Wind bedeutete für Menschen von Konrads Größe immer auch, dass sie schwankten. Konrad stieß ständig etwas um, stets für alle sichtbar. Konrad lebte in einer Welt, die für ihn zu klein war. Deshalb fuhr er größere Autos, bewohnte geräumigere Wohnungen und legte weitere Wege zurück als die anderen. Wenn er saß, ragten die Knie meist über die Tischkante. Dann setzte er dieses dümmliche Lächeln auf und runzelte die Stirn. So wurde aus Konrad ein Achselzucker, der irgendwann aufgehört hatte, sich dafür zu entschuldigen, was er im Vorbeigehen alles umgestoßen hatte. Die Scherben hatte Konrad stets weggerunzelt. In dieser ratlosen Gleichgültigkeit hoffte Jakob Trost zu finden. Und während Konrad in irgendeinem Hotelzimmer auf irgendeinem Festland saß und Jakob der Inselwind ins Gesicht blies, sagte Konrad, dass es am Ende völlig egal sei, mit wem man zusammen sei. Er sagte das, obwohl er gegangen war, weil es nicht egal war, aber er sagte es, um Jakob zu beruhigen, nein, um nicht länger darüber reden zu müssen. Denn Jakob stand jetzt dort, wo Konrad schon vor Jahren gestanden war, und wollte von dem Vorsprung profitieren, und daher sagte Konrad genau die Dinge, die Jakob zwar überhaupt nicht weiterbrachten, die dieser aber hören wollte, nämlich dass es eben völlig egal sei, mit wem man zusammen sei, weil Festland eben Festland bleibe, was nichts mit der Witterung zu tun habe. Regen, Wind und Hagel seien niemals Bestandteil des Festlands, und dann war da diese Stille, und Jakob musste lachen, und Konrad war erleichtert, dass ihm zumindest sein Bruder nicht alles abkaufte.
    Es war unmöglich, Rohrbach als Witterung abzutun. In

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