Kobra
Bitte.“
„Schildern Sie mir bitte, wie sich alles zugetragen hat. Von Anfang an.“
Unser Mitarbeiter zieht sich zurück und setzt sich in einen Sessel. Der Empfangschef ist hinter der Rezeption, und das ist gut so. Ich lege Wert darauf, dass das Gespräch unter den gleichen Umständen wie zur Tatzeit stattfindet.
„Ja, das war so ...“, beginnt Jean Legrand. „Das erste Mal war es gegen Mitternacht, Dr. Bouché. Ich hatte im Büro zu tun – wenn ich Nachtdienst habe, kann ich allerhand aufarbeiten – da kommt Chloé, unsere Rezeptionistin, nicht wahr, und sagt: Herr Legrand, da ruft eine für 330 an. – Wer?, frage ich, denn, wissen Sie, ich hab gern alles exakt. – Keine Ahnung, sie sagt ihren Namen nicht, sagt Chloé - A-a, nein!, sage ich, so was kommt nicht infrage! Und Chloé noch einmal: Sie ist unverfroren ...“
Ich höre geduldig zu. In unserem Beruf ist Geduld die Haupttugend. Auch Zuhören will gekonnt sein, mehr sogar als reden. Hören wir weiter.
„Dann sagt Chloé, sie habe zweimal im Zimmer angerufen, 330 habe aber nicht geantwortet. - Ja, sage ich, und? - Es ist bloß, sagt Chloé, - Gut, sage ich, geh du wieder an deine Rezeption, ich nehme den nächsten Anruf entgegen. Dr. Bouché, ich bin hier nachts für das ganze Hotel verantwortlich. Was auch geschieht – ich muss den Kopf hinhalten.“
„Gut. Und dann?“
„Ich habe ein Weilchen nachgedacht und mir dann gesagt: Das will mir nicht gefallen! Der Schlüssel ist nicht da, folglich ist 330 oben. Aber warum meldet er sich nicht? Ob er jemanden bei sich hat ... ich schau mir die Leute an, er sieht nicht so aus, als würde er jemanden aufs Zimmer nehmen. Ist allein ’rauf, ich habe ihm selbst den Schlüssel gegeben ...“
„Einen Moment“, sage ich. „Erinnern Sie sich, wann der Herr hinaufgegangen ist?“
„Ja, es muss kurz nach zehn gewesen sein. Ich bin gerade aus dem Büro gekommen, um mir einen Kaffee zu holen, da stand der Gast bei Chloé, die ihm den Schlüssel gegeben hat. Sie müssen wissen, dass ich ein gutes Gedächtnis habe, Dr. Bouché.“
„Daran zweifle ich nicht. Ich frage nur, ob Herr Delacroix wirklich allein war.“
„Er war allein“, erklärt Jean Legrand entschieden. „Kam aus dem Restaurant, aus der Tür dort, mit seiner Tasche, eher ein Köfferchen.“
„Und dann? Was haben Sie gemacht, nachdem Sie nachgedacht hatten?“
„Nun, sage ich mir, kann sein, der Mann ist in die Bar hinuntergegangen, und ich war gerade beschäftigt und habe es nicht gesehen. Aber irgendwas gefiel mir an der Sache nicht. Kommt immer mal was vor, voriges Jahr war einem Gast in der Badewanne schlecht geworden, schnelle medizinische Hilfe und so ... Wie dem auch sei, dachte ich mir, verkehrt kann’s nicht sein, wenn wir mal in der Bar nachschauen. Ich erkundige mich telefonisch bei Maxime, nein, sagt er, so einer ist nicht hier. Vielleicht ist das Telefon defekt, so was kommt auch mal vor, aber irgendwas bohrt immerzu in mir, will mal, sage ich mir, oben anrufen ...“
„Bei welchem Maxime?“
„Dem Jungen vom Shop für die Etagen.“
„Und wieso sollte der Bescheid wissen?“
„Weil die Kaffeeküche und der Shop für die ersten drei Etagen dort etabliert ist. Sozusagen mittig, damit die Gäste ihn bequem erreichen können, wenn sie etwas benötigen. Der nächste Shop ist dann auf 6 und so weiter.“
Nun gut, da kann man nichts machen. Ich lasse Legrand fortfahren.
„Ich rufe an. Maxime sagt: 330 ist in seinem Zimmer und nicht herausgekommen. Also ist er drin. Geh hin, sage ich, und klopf mal. Entschuldige dich, bloß, damit wir wissen, dass ihm nicht schlecht ist. Nach einer Weile ruft Maxime an: Er hätte geklopft, niemand habe sich gemeldet. Muss ich also selbst nachsehen, sage ich mir. Hab nur Chloé aufgetragen: Du klingelst, damit wir sehen, ob man’s von draußen hört, und wir klopfen. Wenn er antwortet, halb so schlimm, dann entschuldigen wir uns, Hauptsache, er meldet sich. Ich fahre nach oben, wir klopfen, Maxime und ich, drinnen klingelt das Telefon wie wild, ist also nicht defekt. Nichts rührt sich.“
„Dann?“
„Dann sagte ich, wir müssen sofort beim Hotelmanager anrufen. Da stimmt was nicht. Wir weckten ihn, er ordnete an, die Police Nationale anzurufen, und gab uns eine Nummer. Das ist alles.“
Ja, wirklich – das ist alles. Das Übrige – das Öffnen des Zimmers, der Abtransport von Raphael Delacroix, die Anweisung des Ministeriums, der
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