Kölner Kulissen
Nebenraum zu hören.
»Ich glaube, ich werde morgen nicht zum Dienst gehen«, sagt sie endlich.
»Wenn du dich nicht danach fühlst, ist das auch besser«, sagt er.
»Marek, ich weiß nicht …« Mitten im Satz bricht sie ab. Da spürt sie seine Hände auf ihrem Rücken. Sie hat ihn nicht näher kommen hören. Zuerst zieht sie unwillkürlich die Schultern hoch und spannt den Nacken an. Marek beginnt, sie sanft zu massieren. Langsam entspannt sie sich.
»Ich weiß nicht …«, setzt sie erneut an. Warum ist das so schwierig? »Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch zum Dienst gehen soll.«
Jetzt ist es raus. Bis vor wenigen Sekunden hat sie sich noch nicht einmal getraut, diesen Satz zu denken.
»Du bist eine großartige Polizistin«, sagt er und küsst ihren Nacken. »Wer sollte das besser machen als du?«
»Ich dachte, mein Job ginge dir auf die Nerven.«
»Das tut er auch oft. Aber ich weiß, dass du genau die Richtige dafür bist.«
»Aber ist der Job auch der richtige für mich?«
Er schlingt von hinten seine Arme um sie. Wann hat er sie eigentlich zum letzten Mal so innig umarmt?
»Ich schlage vor«, sagt er, »du nimmst jetzt erst mal ein langes Bad. Und morgen bleibst du zu Hause. Lass dich krankschreiben. Oder sag Benrath, er soll dir ein paar Tage freigeben. Überstunden hast du schließlich genug gesammelt. Und in ein paar Tagen stellst du dir all diese Fragen noch einmal.«
So, wie er das sagt, klingt es verblüffend einfach. Vielleicht hat er recht. Sie wendet sich ihm zu und erwidert seine Umarmung. Und dann hört sie sich sagen:
»Wie wäre es, wenn wir noch ein Kind bekämen?«
DREIUNDZWANZIG
Zunächst sprechen Paula und Anselm nicht über die Begegnung mit den beiden Kommissaren. Sie fahren in den Rheinpark und gehen eine Weile am Wasser entlang. Ihren Hut mit dem Schleier lässt Paula in Anselms Wagen. Trotzdem fühlt sie sich in ihrem langen dunklen Kleid neben all den Joggern, Fußballern und Leuten auf Picknickdecken fehl am Platz. Sie spürt die irritierten Blicke. Die Leute sehen sie an, als wäre sie einem Film entflohen. Manche hoffen vielleicht, Zeugen eines Außendrehs zu werden, und halten Ausschau nach Kameras.
Paula deutet auf eine Bank, von der aus sie über den Fluss schauen können. Bevor sie sich setzen, wischt Anselm die hölzerne Sitzfläche mit seinem Taschentuch ab. Fast lautlos gleiten Ausflugsdampfer und Frachtschiffe vorüber. Am anderen Ufer, ein wenig weiter links, liegt ein Flimmern in der Luft: Über der Innenstadt staut sich die Hitze. Minutenlang hört Paula nichts als das zu einem Gemurmel reduzierte Stimmengewirr der anderen Parkbesucher hinter ihrem Rücken und das Rauschen des Verkehrs auf der Zoobrücke zu ihrer Rechten. Sie genießt es. Dann hält Anselm das Schweigen nicht länger aus.
»Erklär’s mir bitte«, sagt er.
»Was?«
»Na, was wohl? Was die beiden eben von dir wollten.«
»Das waren Polizisten. Von der Mordkommission.«
»Das hab ich mir schon selbst zusammengereimt. Komm schon, Paula, warum beschuldigt dich die Frau?«
Sie sieht ihn nicht an. Sie sieht überhaupt nichts an. Ihr Blick geht durch den Fluss, durch die Schiffe, durch die Häuser und die darüberhängende Dunstglocke in einen absolut leeren Raum. Es ist, als schaue sie in eine Blue Box, in die noch kein Hintergrund projiziert ist.
»Anselm, weißt du, was eine Rückprojektion ist?«
Er nickt. »Das sind doch diese gefilmten Hintergründe anstelle von Kulissen, oder? Die du manchmal in alten Filmen bei Autofahrten in der Heckscheibe siehst.«
»Genau. Du spielst deine Rolle vor einer Leinwand, auf der ein anderer Film läuft.« Sie sieht Anselm an und kneift die Augen ein wenig zusammen, sodass die Konturen seines Gesichts verschwimmen. »Manchmal erscheint mir mein Leben wie eine Rückprojektion«, sagt sie. »Das ist okay, ich finde mich dort zurecht. Schwierig wird es nur, wenn das Bild an Schärfe verliert.«
Sie entspannt ihre Lider, wendet ihr Gesicht von Anselm ab und sieht wieder auf den Rhein. Ein paar Möwen stürzen sich ohne erkennbares Signal gemeinsam vom Himmel dem Wasser entgegen. Mit unerklärlicher Präzision tauchen alle gleichzeitig mit den Schnäbeln voran in den Fluss. Nur einen Augenblick später sind sie wieder auf ihre vorherige Höhe emporgestiegen. Auf dem Wind segelnd, haben sie für dieses Manöver nur wenige Flügelschläge gebraucht.
»Du hast doch selbst gehört, was die Kommissarin gesagt hat«, sagt Paula.
»Ja, das habe ich.
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