Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
Existenzberechtigung,
nur die Verve, mit der manche dieser Institute in die Öffentlichkeit drangen und
von ihrer eigenen Bedeutung beseelt schienen, irritierte sie oftmals. Vielleicht
musste man so auftreten, Öffentlichkeit bedeutete auch für ein Institut mehr Aufmerksamkeit
und damit klare finanzielle Vorteile. Das wusste sie selbst am besten.
Doch der Mann, der ihr gegenüber
saß, übertrieb es in ihren Augen. Professor Walter Bongartz war Terrorismusexperte
am Institut für Terrorismusforschung & Sicherheitspolitik. Das Institut war
1986 in Bonn gegründet worden und bis zu seiner Auflösung 1993 dort ansässig. Seit
seiner Neugründung im September 2003, zwei Jahre nach den Anschlägen auf das World
Trade Center und das Pentagon, saß das Institut in Essen – für Verena eine knappe
Stunde Zugfahrt, die sie genutzt hatte, um im Internet Informationen über ihren
Gesprächspartner zu sammeln. Der Politikwissenschaftler arbeitete erst seit ein
paar Jahren an diesem Institut, vorher war er Professor an der Universität Bonn
und später Berater des BKA gewesen. Jetzt wirkte er jedoch, als hätte er sich in
seinem neuen Job selbstzufrieden eingerichtet. Mit einer herablassenden Art von
Gestik, die Verena Talbot immer wütend machte, hielt der Professor ihr seit zehn
Minuten einen Vortrag über die zahlreichen Bedrohungen in der Welt und die Bedeutung
seiner eigenen Arbeit als Terrorismusforscher. Seine Stimme war dabei durchaus einnehmend.
Verena konnte sich gut vorstellen, wie der Mann, dessen Porträtfoto auf der Homepage
des Instituts ihn mit seinem graumelierten Bart und der dezenten Brille seriös und
vertrauenerweckend wirken ließ, auf Kongressen auftrat und die Zuhörer zu überzeugen
wusste. Dass sich Bongartz selbst sehr gut gefiel, stand außer Frage. Nur hatte
Verena kein Interesse, ihm weiter bei seiner Selbstbeweihräucherung zuzuhören. Also
versuchte sie das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken. Dabei schenkte
sie ihm ihr strahlendstes Lächeln und beugte sich leicht nach vorn. »Sie sind der
Ansicht, die Polizei hätte das Kölner Attentat verhindern können, wenn sie auf Sie
gehört hätte?«
Bongartz schaute sie kurz an und
nestelte verlegen an seiner grünrot gemusterten Fliege. »Generell sind wir der Überzeugung,
Instrumente entwickelt zu haben, die durchaus in der Lage sind, terroristische Bedrohungsszenarien
zu deuten und ausgesprochen zuverlässige Prognosen zur Gefahrenentwicklung durch
zum Beispiel islamistisch motivierten Terrorismus zu geben.«
»Das klingt beeindruckend, Professor
Bongartz, gab es denn im Vorfeld des 11. November konkrete Hinweise auf ein bevorstehendes
Attentat?«
»Uns lagen diverse Hinweise darauf
vor, dass Islamisten Anschläge zu dieser Zeit in Deutschland planten. Und Sie können
sich sicher vorstellen, dass eine Millionenstadt wie Köln da nicht außen vor ist.«
»Hatten Sie auch Ali Ökçan im Visier?«
»Sie missverstehen unsere Arbeit,
junge Frau. Wir sind keine Abteilung des Bundeskriminalamtes zur Terrorabwehr. Wir
sind ein Forschungsinstitut. Wir werten Informationen aus und versuchen Rückschlüsse
zu ziehen, wo ein Gefahrenpotenzial verborgen liegt. Wussten Sie zum Beispiel, dass
es im Prinzip Zufall ist, ob jemand linksextremistisch, Neonazi oder Islamist wird?
Das hat erstaunlich wenig mit Überzeugungen zu tun.«
Jetzt hatte Professor Bongartz Verenas
Aufmerksamkeit. »Womit dann?«
»Es hat viel mit dem persönlichen
Umfeld des späteren Terroristen zu tun. Die Gruppe der Radikalen bietet jungen Männern
Gemeinschaft und Anerkennung. Darum geht es ihnen. Der politische Überbau kommt
erst nachträglich hinzu.«
»Ist dieser politische Überbau nicht
notwendig, damit aus einem Radikalen ein Attentäter wird?«
Verenas Interesse verfehlte seine
Wirkung nicht. Der Professor dozierte mit wuchtigen Handbewegungen.
»Nein, unseren Forschungen zufolge
nicht. Entscheidend sind die persönliche Struktur, das vorherige Umfeld und die
Gruppe selbst.« Bei jedem der drei Einflüsse zerhackte seine Hand ein Stück Luft.
»Also könnte sogar ich zum Terroristen
werden?«
»Frauen neigen weniger zu gewalttätigem
Extremismus. Zweifeln Sie oft an sich?«
»Wer tut das nicht?« Verena lächelte
dabei ihr maliziösestes Verschwörerlächeln. Selbstzweifel gehörten eigentlich nicht
zu ihren Problemen. Das verband sie mit Bongartz.
»Haben Sie ein stabiles Umfeld,
das Ihnen Bestätigung bietet?«
Verena musste einen Moment
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