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Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)

Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)

Titel: Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
Autoren: Stefan Keller
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nachdenken.
Wenn sie ehrlich war, musste sie Nein sagen. Allerdings war sie nicht unbedingt
der Ansicht, dabei etwas zu vermissen. Doch Bongartz war schon beim nächsten Punkt.
    »Wie glücklich ist Ihre Beziehung?
Haben Sie Familie?«
    Verena wich der Frage aus. »Es gibt
auch Attentäter mit Familie, nicht wahr? Ich erinnere mich an ein paar Selbstmordanschläge
in Israel, die von palästinensischen Familienvätern begangen wurden.«
    »Gut beobachtet. Aber kennen Sie
die Lebensbedingungen dieser Leute? Hinzu kommt das Glücksversprechen für die Märtyrer,
der Einzug ins Paradies und ganz praktisch: Die Familie wird nach dem Tod des Attentäters
von der Hamas versorgt und das vermutlich besser, als es diese Leute selber können.
Die Arbeitslosenquote in den Palästinensergebieten ist enorm hoch. Vergessen Sie
das bitte nicht!«
    »Nur, was würde einen Jungen wie
Ali Ökçan dazu bringen, sich mit sechs anderen Menschen in die Luft zu sprengen?«
    »Schauen Sie hinter die Fassade
des Jungen. Auch die Attentäter des 11. September waren Studenten, teilweise aus
gutem Haus. Bin Laden selbst stammte aus einer reichen saudischen Familie. Das allein
heißt nichts. Wenn Sie meine persönliche Meinung hören wollen: Das Ganze hat viel
mit dem gestörten Ego dieser Menschen zu tun. Sie haben wahrscheinlich mehr mit
Serienkillern gemein als mit politischen Aktivisten. Und sie sind ähnlich unauffällig.
Ihre Tarnung, ihre Anpassung, alles ist Teil ihres Plans.«
    »Verstehe ich das richtig? Ein Moslem,
der seinen Glauben radikal auslebt, ist aufgrund seiner Radikalität ein potenzieller
Terrorist, und ein Moslem, der sich anpasst, ist aufgrund dieser Angepasstheit ein
potenzieller Terrorist?«
    In der Antwort des Experten lag
nicht der Hauch eines Zweifels. »So sieht es aus.«
    Verena überlegte, was sie dazu sagen
sollte, wechselte dann das Thema. »Sicher haben Sie recht. Ich möchte noch einmal
auf etwas anderes zurückkommen. Sie sagten, die Gruppe sei entscheidend für die
Sozialisation eines Attentäters. Heißt das nicht, dass Ali Ökçan kein Einzeltäter
gewesen sein kann?«
    »Das stimmt.« Der Professor lehnte
sich in seinem Chefsessel zurück und lauerte auf Verena Talbots Reaktion. Sie wusste,
dass sie ihm jetzt die Bühne für seinen ganz großen Auftritt vor der kleinen Blondine
bereiten musste.
    »Aber das BKA …«, hob sie in schüchternem
Tonfall an.
    Der Professor reagierte mit einer
wegwerfenden Handbewegung. »Ach, das BKA!«
    »Sie meinen, die Ermittler liegen
falsch?« Verena beugte sich weiter nach vorn, als wolle sie von Bongartz ein Geheimnis
ins Ohr geflüstert bekommen.
    »Die Ermittler machen ihren Job
und die Politik macht ihren Job. Beides passt nicht immer zusammen.«
    »Das müssen Sie mir erklären, Professor!«
    »Mit Sicherheit hatte Ökçan Verbindungen
zu terroristischen Netzwerken, und ich glaube nicht, dass er diesen Anschlag allein
auf die Beine gestellt hat. Dafür halte ich ihn für zu schwach. Das BKA steht unter
politischem Druck, und was niemand will, ist eine unkontrollierbare Panikreaktion
kurz vor Weihnachten.«
    »Also hat man die Öffentlichkeit
angelogen?«
    Bongartz wand sich auf seinem Sessel.
Verena war zu weit gegangen. »So kann man das nicht sagen.«
    Er schwieg eine Weile, schließlich
formulierte Verena ihre Gedanken laut. »Es hat einfach niemand nach Hintermännern
gesucht? Das glaube ich nicht!« Der Mann mit der Fliege zuckte nur mit den Achseln.
Schließlich erhob sich die Journalistin und nahm ihre Tasche.
    »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen
haben, Professor«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich jetzt die Männer suchen, die
Ökçan beeindrucken wollte?«
    »Ja, vielleicht sollten Sie das«,
bestätigte der Professor.
    An der Tür drehte sich Verena noch
einmal um. »Wenn Ali Ökçan Mitglied einer terroristischen Zelle war, war das nicht
der letzte Anschlag, oder?«
     
    Noch im ICE zurück von Essen nach Köln suchte Verena Talbot nach Hinweisen
auf islamistische Gruppierungen im Kölner Raum. Den Anmachversuch eines Geschäftsmannes
im grauen Anzug schmetterte sie lächelnd ab. Im Internet fand sie wenig Konkretes,
also widmete sie sich ab Oberhausen erneut dem Pressedossier des BKA. Am Kölner
Hauptbahnhof nahm sie die S-Bahn nach Ehrenfeld. Nur wenige Gehminuten vom Bahnhof
Ehrenfeld entfernt fand sie ihr erstes Ziel, doch anders als Marius Sandmann wurde
die Journalistin alles andere als freundlich empfangen. Niemand wollte mit ihr reden
und
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