König 01 - Königsmörder
auch weiter Frieden, Wohlstand und Sicherheit genießen werden können. Daher gebe ich Euch in ihrem großen Namen Seine Majestät, König Gar, Wettermacher von Lur!« Während die Menge draußen zu toben begann, hörte Asher hinter sich mehrere Menschen erschrocken aufkeuchen. Er drehte sich um und sah Gar, der zwischen den links und rechts versammelten Angestellten der Halle der Gerechtigkeit hindurch zur Doppeltür ging. Immer noch in tiefes Schwarz gekleidet, trug er auf seinem zerschundenen Kopf weder ein Diadem noch eine Krone, und sein Gesicht war bleich und grimmig. Durch die geöffneten Türen trat er auf die Treppe der Halle der Gerechtigkeit.
Als die Menge ihn sah, drohte der Lärm den Himmel selbst zu erschüttern. Kreischen. Rufe. Laute Schreie des Willkommens und des Kummers. Irgendwo in dem Gedränge erklang die Stimme eines Mannes: »König Gar! König Gar! Barl segne unseren König Gar!«
Eine andere Stimme nahm seinen Ruf auf. Dann noch eine. Und noch eine. Dann zwei Stimmen gleichzeitig. Drei. Zehn. Dreißig. Fünfzig. Immer lauter und stärker sprangen die Rufe wie Flammen auf einem Weizenfeld von Kehle zu Kehle.
»König Gar! König Gar! Barl segne unseren König Gar!«
Dort draußen erklangen nicht nur olkische Stimmen, sondern auch doranische. Sie erklangen auch hier im Gebäude, wie Asher feststellte. Nicht so laut wie die Stimmen der Menschen draußen, aber mit der gleichen Leidenschaft. In den Gesichtern der versammelten Angestellten sah er Liebe, Erleichterung und überschäumendes Glück. Lur hatte einen neuen Wettermacher. Wenn sie heute Nacht zu Bett gingen, konnten sie sich sicher und beschützt fühlen, geborgen in dem Wissen, dass die Welt unverändert weiter– bestehen würde, und dafür waren sie dankbar. Was alles gut und schön war und eine angenehme Weise, den Tag zu beenden, aber wie lange würden Glück und Dankbarkeit sich halten, wenn Gar nicht bereit war?
Holze hatte sich auf die Knie sinken lassen und den Kopf bis auf die Brust vorgebeugt, um den neuen König zu ehren. Gar ließ ihn drei Herzschläge lang in dieser Haltung ausharren, dann trat er vor und zog den betagten Geistlichen auf die Füße. Umarmte ihn. Der Jubel der Menge war mit einem Mal doppelt so laut und doppelt so inbrünstig. Asher konnte das Vibrieren seiner Knochen spüren. Der Lärm war so laut, dass er glaubte, das Dach der Halle der Gerechtigkeit würde ihnen vielleicht allen um die Ohren fliegen und die Gebäude in der Stadt würden zu Schutt und Staub zerfallen.
Draußen auf der Treppe ließ Gar Barlsmann Holze los und wandte sich der Menge zu. Er hob die Hände hoch über den Kopf, und ein Strom goldenen Lichtes brach aus seinen ausgestreckten Fingerspitzen. Immer höher und höher stieg der goldene Strahl, und plötzlich roch die Welt nach Freesien und Jasmin und allen süßen Dingen. Die Menge verfiel in atemloses Schweigen, während die rohe Magie über ihren Köpfen verschmolz und zu einer dicken, goldenen Wolke wurde.
Gar ballte die Fäuste. Die goldene Wolke erzitterte. Bebte. Zerfiel in Tausende und Abertausende Blütenblätter, die auf die emporgewandten Gesichter seines Volkes niederregneten. Während die Menge voller Staunen aufkeuchte, schluckte Asher seine eigene Überraschung herunter. Es war schwer, sich daran zu gewöh– nen, dass Gar jetzt Magie wirken konnte. Es war so, als beobachte man einen verkrüppelten Vogel, wie er die Flügel ausbreitete und mühelos und beiläufig davonflog, so wie er von Geburt an hätte fliegen sollen. »Bürger von Dorana!«, rief Gar. »Gestern wandelte unter Euch ein Mann, der diesem Königreich als seine Königliche Hoheit Prinz Gar von Lur bekannt war. Dieser Mann ist gestern zusammen mit seiner ganzen Familie gestorben und wurde heute als Euer König wiedergeboren. Als Euer Diener. Als Barls Werkzeug in der Welt, dessen einziger Ehrgeiz es ist, die Stärke ihrer Mauer zu bewahren und zu hegen. Dessen einziger Daseinsgrund es ist, Euch zu helfen, so weiterzuleben wie zuvor: geliebt und sicher und gehorsam gegenüber Barls Willen. Gestern war ich ein Prinz mit
einem
Vater,
einer
Mutter,
einer
Schwester. Heute bin ich ein König mit mehr Vätern und Müttern und Schwestern, als ich zählen kann. Ja, und ich habe auch Brüder, Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen und Kinder. Denn die Menschen von Lur sind jetzt meine Familie. Und ich werde meine Familie bis in den Tod lieben und gegen jeden verteidigen, der ihr Böses will. In Barls Namen, ich
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