König 01 - Königsmörder
Arroganz reckte Gar das Kinn vor. »Er könnte es versuchen.«
»Genau das ist der Punkt. Er
wird
es versuchen.«
»Nein. Der Punkt ist der, dass ich eigensüchtig gewesen bin. Seit unserer ersten Begegnung habe ich mir angewöhnt, dich als den Bruder zu betrachten, den ich nie gehabt habe. Ich nehme an, ich hatte gehofft – gedacht –, dass du genauso empfindest.«
Gar, sein
Bruder?
Asher starrte ihn an. Er hatte genug verdammte Brüder für ein ganzes Leben. Wollte er wirklich noch einen? Einen mit blondem Haar, einer Krone und genug Ärger im Schlepptau, um in der Gans ein Dutzend Faustkämpfe anzufangen?
Die Antwort kam langsam, aber mit Gewissheit: Ja! Er wollte es. Denn trotz aller Unterschiede und Kabbeleien, trotz der gemeinsam durchgestandenen Katastrophen hatte Gar ihm in kaum mehr als einem Jahr mehr gegeben, hatte ihm mehr vertraut, hatte ihn mehr gelehrt, hatte mehr mit ihm gelacht und größeren Anteil an ihm genommen, als seine leiblichen Brüder das in einem ganzen Leben getan hatten.
Die Erkenntnis musste sich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn Gar lächelte. »Das freut mich. Und jetzt geh.«
»Ich soll gehen?«, fragte er ungläubig. »Aber…«
»Brüder sollten einander keine unrechte Last aufbürden«, sagte Gar. Sein Gesichtsausdruck war zerknirscht. »Im Ernst. Ruh dich ein wenig aus, du wirkst erschöpft. Aber bevor du dich zurückziehst, schick eine Nachricht an Conroyd Jarralt und bitte ihn, sich zu mir zu gesellen. Ich werde warten, bis er ankommt.« Asher räusperte sich. Gut. Das war gut. Er gehörte nicht hierher, in das feurige Herz doranischer Magie. Kein Olk gehörte hierher. »Seid Ihr Euch sicher?« Gar nickte. »Ja. Es muss Conroyd sein.«
Asher machte zögernd einen Schritt rückwärts. Rang mit seinem besseren Urteil, verlor den Kampf und sagte: »Wenn Ihr wirklich wollt, dass ich bleibe, werde ich…«
»Es ist nicht wichtig, was ich will. Geh, Asher. Ich sehe dich dann morgen früh.« Er drehte sich um und ging langsam auf die offene Tür zu. Er war erleichtert, er war gekränkt, er war begeistert, er war wütend. Bastard. Warum konnte Gar nicht einfach Einwände erheben? Warum musste er so… so… verständnisvoll sein? So
vernünftig.
Dachte Gar, dass er es nicht tun
konnte?
Dass er nicht stark genug war, um zu ertragen, was immer die Wettermagie denen zufügte, die sich in ihrer Nähe aufhielten, und sei es auch nur als Zuschauer? Dachte Gar tief in seinem Herzen, dass die Olken
schwach
waren?
Dass er schwach war?
Er erreichte die Tür und berührte mit den Fingern das ungestrichene Holz. Er hielt inne.
War
er schwach?
»Verdammt!«, rief er und schlug die Tür vor seiner eigenen Nase zu. Fuhr herum, um den wachsam wartenden Gar anzufunkeln. »Ihr wisst immer, was Ihr sagen müsst, nicht wahr! Ihr wisst immer, welche Fäden Ihr ziehen müsst, um Euren Kopf durchzusetzen! Ich hätte es wissen müssen – ich habe es Euch tagein, tagaus als Tribun tun sehen!«
Gar errötete und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und? Hat es funktioniert?«
»Natürlich hat es funktioniert, Ihr hinterhältiger Bastard! Ich befinde mich auf dieser Seite der verdammten Tür, oder?«
Das erste wahre, uneingeschränkte Lächeln seit dem Unfall glitt über Gars Züge. »Erwarte nicht von mir, dass ich mich entschuldige.«
Asher schnaubte. »Keine Bange. Ich bin dumm, aber nicht so dumm.« »Ich weiß, dass ich viel verlange«, erwiderte Gar, und sein strahlendes Lächeln verblasste. »Es sieht so aus, als würde ich immer viel von dir verlangen. Aber erwarte auch nicht, dass ich mich dafür entschuldige. Du bist ein Mann mit vielen Talenten, Asher. Talenten, die am besten zum Wohle dieses Königreichs genutzt werden sollten, und wenn du denkst, ich würde aufhören, sie zu nutzen, nur weil dir – oder mir – diese Vorstellung unbehaglich ist, dann solltest du jetzt wirklich gehen.«
»Nein. Es hat schon einer meiner Freunde für sein ganzes Leben Schaden gelitten, weil ich gegangen bin.«
Jed.
Asher verschränkte die Arme vor der Brust, um sich gegen die quälende Erinnerung zu wappnen, und drückte die Schulterblätter gegen die Tür. »Ich werde bleiben.«
Gar nickte. »Gut.« Er wandte sich wieder der Karte von Lur zu, und sein Gesichtsausdruck verriet jetzt Unsicherheit. Vorsicht. Eine wachsame Hoffnung. »Es ist wie ein Tanz«, flüsterte er. »Ein Tanz mit einem festgelegten Muster, das sich in über sechs Jahrhunderten nicht verändert hat und das von
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