König 02 - Königsmacher
und rieben sich die mit Fisch gefüllten Bäuche.
Aber da sei noch mehr, pflegte Hemp zu sagen, so leise und voller Ehrfurcht, dass seine Stimme klang wie die Gischt auf dem Strandkies, sobald alle Wellen ins Meer zurückgelaufen waren. Von Dorana aus könne man Barls Mauer sehen, die turmhohe, goldene Barriere aus Magie, die sich, im Sägezahngebirge tief verankert, hinter der Stadt dahinzog.
»Sie sehen?«, stießen die Jungen dann atemlos hervor, ungläubig, ganz gleich, wie viele Male sie die Geschichte gehört hatten.
»O ja«, versicherte Ole Hemp ihnen. »Barls Mauer ist nicht unsichtbar wie die Zauber, die tief eingesenkt sind in das Drachenzahnriff, das ihr alle kennt. Es reicht vom einen Ende des Horizonts zum anderen und trennt die ruhigeren Gewässer vor der Küste von der hohen See. Kein Boot kann es jemals überwinden. Aber Barls Mauer ist etwas Großes, Flammendes, und an einem wolkenlos blauen Tag kann man sie um die Mittagszeit deutlich sehen. Sie schenkt uns Sicherheit. Sie beschützt jeden Einzelnen - ob Olk, Olkin oder Olkenkind - vor den Gefahren der lange aufgegebenen Welt jenseits der Mauer.«
An diesem Punkt fragte stets jemand: »Und was ist mit den Doranen, Hemp? Beschützt die Mauer sie auch?« Und Hemp antwortete jedes Mal: »Natürlich tut sie das. Glaubst du, sie würden eine Mauer bauen, die ihresgleichen nicht zuerst und zuvorderst retten würde?« Aber das sagte er immer ganz leise, als könnten sie ihn hören, obwohl die nächsten Doranen über fünfzig Kilometer entfernt lebten. Denn doranische Ohren waren magische Ohren, und die Doranen gehörten nicht zu denjenigen, die Kritik allzu freundlich aufnahmen.
Beunruhigt und von jähem Heimweh erfüllt, schüttelte Asher die Erinnerungen ab und blickte über den Marktplatz in die Ferne, über die Stadt hinaus, wo Barls Mauer in der Morgensonne schimmerte. Was das betraf, hatte Ole Hemp jedenfalls Recht gehabt: Dort war die Mauer, und dort würde sie stehen, höchstwahrscheinlich bis zum Ende der Zeit selbst.
Eine lachende Gruppe von Doranen schlenderte vorbei. Asher konnte sich nicht bezähmen: Er starrte sie an.
Sie waren eine hochgewachsene Rasse mit Haar in der Farbe von Silber oder Gold, von reifem Weizen oder Sonnenschein, und sie trugen es gelockt oder zu Schleifen und Zöpfen gebunden, durchflochten mit lässig zur Schau gestellten kostbaren Juwelen. Sie hatten klare, schöne Augen mit grüner, blauer und grauer Iris, und ihre Haut war weiß wie frische Milch. Die langen, eleganten Glieder waren schlank und rank, und sie kleideten sich in Seide, Brokat, Samt, Leinen und Leder. Ihre ganze Haltung vermittelte den Eindruck, dass sie nicht wie andere Geschöpfe waren, dass sie unberührt und unberührbar waren, und wo immer sie gingen, zog der Staub des Marktplatzes sich ehrerbietig vor ihnen zurück.
Das war Magie… Und sie trugen sie wie einen unsichtbaren Mantel. Hüllten sie sich um die schlanken Schultern und wussten zu verhindern, dass sie an ihnen hinabglitt: Mit hochmütig vorgerecktem Kinn und mit der Art, wie sie die in feinem Schuhwerk steckenden Füße auf den Boden setzten, als sollten unter ihren Schritten blühende, wohlduftende Blumen sprießen.
Unten in Restharven bekam man von einem Ende des Jahres bis zum nächsten kaum je einmal einen Doranen zu sehen. Den König beim Fest der Meeresernte. Den Steuereintreiber. Den Volkszähler. Einen ihrer fantastischen Pother, falls ein guter, altmodischer Olkenheiler jemanden nicht von seinen Bauchschmerzen kurieren oder einem anderen einen gebrochenen Knochen richten konnte. Davon abgesehen blieben sie auf ausgedehnten Landsitzen oder in den großen Städten des Königreiches unter sich, und natürlich lebten viele von ihnen hier in der Hauptstadt. Mit welchen Dingen sie sich vergnügten, wusste Asher nicht. Wahrscheinlich hielten sie Vieh und fischten in den Flüssen, bauten Trauben an und züchteten Pferde, genau wie seine eigenen Leute. Nur dass sie natürlich Magie benutzten.
Asher spitzte unwillkürlich die Lippen. Sein Leben mit Magie zu leben… Das war einfach nicht
natürlich.
Diese vornehmen, gelbhaarigen Leute mit ihren kostbaren Kräften, die alles für sie taten, die dafür sorgten, dass die Welt sich ihren Wünschen und Launen beugte, die in ihrem ganzen Leben niemals eine noch so kleine Blase an den Händen haben geschweige denn schwitzen würden… Was verstanden sie denn schon von der Welt? Davon, wie ein Mann der Welt verbunden sein sollte, wie er
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