König Artus
ein Mensch, den ich kenne. Als der Gemahl dieser Dame aus der Welt schied, ließ er sie im Besitz von ansehnlichen Ländereien zurück, Wäldern und Weidegründen, dazu Katen und Leibeigenen und zwei wohlgebauten und wehrhaften Festen, die Burg auf dem Felsen und die Rote Burg. Als zwei Brüder namens Edward und Hugh erfuhren, daß diese Dame ihres Herrn und Beschützers beraubt war, rissen sie die Rote Burg und einen großen Teil der Ländereien, die der Dame gehörten, an sich. Sie ließen ihr nur die Burg auf dem Felsen, und auch dieser gedenken sie sich zu gegebener Zeit zu bemächtigen wie auch der Dame selbst, denn sie ist schön und artig und wohlgeboren. Diese beiden Brüder nennen sich derzeit Sir Edward und Sir Hugh von der Roten Burg. Sie ziehen Pachten und Abgaben ein, fordern Lehnsdienste und spielen sich, unterstützt von bewaffneten Söldnern, auf dem Besitztum als die Herren auf.«
Ewain sagte: »Madame, das ist zweifellos ein Fall, der Beistand verlangt. Ich werde mit diesen Rittern um das Erbe der Dame kämpfen.«
»Ich muß Euch warnen, junger Herr, daß diese beiden keine fahrenden Ritter sind, jederzeit bereit, um der Ehre willen ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie sind brave, anständige, fleißige, gewissenhafte Diebe und werden nur dann kämpfen, wenn sie sicher sind, daß sie Sieger bleiben.«
»Ich werde sie bei ihrer Ehre packen«, sagte Ewain.
»Ihr werdet vermutlich feststellen, daß ihnen an ihrem Besitz mehr liegt als an der Ehre«, sagte die Dame Lyne. »Vielleicht, daß ihre Enkelsöhne es mit der Ehre versuchen werden, wenn sie auf der Welt sind.« Sie deutete auf eine gestürzte Eiche, die mit ihrem emporragenden Wurzelwerk eine kleine Höhle gebildet hatte, bewohnt von Füchsen, Wildschweinen, Dachsen, Bären und vielleicht auch Drachen, bis Menschen sie allesamt daraus vertrieben. »Suchen wir dort Schutz vor diesem elenden Regen«, sagte sie.
Eine kleine mit Asche gefüllte Grube in der Höhle zeigte an, daß sie kurz vorher noch bewohnt gewesen war, und einer der Bogenschützen machte sich ans Werk, ein Feuer zu legen, wurde jedoch von der Dame daran gehindert. »Wir dürfen keinen Rauch machen«, sagte sie. »Wir sind schon in der Nähe der Burg auf dem Felsen, die man von der Spitze des nächsten Hügels samt dem ganzen Umland sehen kann. Wenn ich vom Schlag Edwards und Hughs wäre und wie sie am Leben bleiben und es noch mehr genießen wollte, würde ich auf dem Hügel Wächter für den Fall postieren, daß sich in irgendeinem jungen Ritter das Verlangen regen sollte, einer Dame in Bedrängnis zu Hilfe zu eilen.«
»Ich werde hinaufreiten und sie aus dem Weg schaffen, Madame«, sagte Ewain.
»Ihr werdet Euch hierhersetzen und warten, Herr Ritter.« Sie rief ihre Männer zu sich und sprach zu ihnen in der alten keltischen Mundart, und sie nickten, lächelten und berührten ihre zerzausten Stirnlocken. Dann holten sie aus ihren Beuteln gut eingewachste Bogensehnen und spannten ihre Langbogen. Beide Männer suchten sich acht Pfeile aus, schärften die Eisenspitzen und linsten die Schäfte entlang, um zu kontrollieren, ob sie verbogen waren. Dann schlichen sie leise den Hang hinauf, nicht auf dem Weg, sondern durch das tropfende Dickicht, und kein Geräusch verriet, daß sie auf dem Kriegspfad waren.
Die Dame Lyne sagte: »Wir müssen uns irgend etwas ausdenken, um die beiden Brüder dazu zu bringen, daß sie sich zum Kampf stellen. Wenn Ihr ein bißchen von Euren Grundsätzen abgehen und so tun könntet, als tapptet Ihr in eine Falle … nun ja, wir werden sehen. Habt Ihr das eben gehört?«
»Was, Madame?«
»Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört … Horcht! Noch einer.«
»Den habe ich auch gehört. Er klang wie ein Todesschrei.«
»Es war einer«, sagte die Dame.
Lange hörten sie nur die Regentropfen fallen, und das Murmeln eines Baches. Und dann kamen die ausgeschickten Männer zurück. Jeder von ihnen trug, an einem Riemen über den Rücken geschnallt, einen Harnisch, und ihre Hosengürtel wurden von schweren Schwertern nach unten gezogen. Sie legten mit rasselnden Geräuschen die Rüstungen am Höhleneingang nieder und lächelten leicht, während sie berichteten.
»Es waren nur zwei«, erläuterte die Dame Lyne. »Meine Männer glauben, der Weg ist jetzt frei, aber wenn wir uns aufmachen, werden sie sicherheitshalber vorausreiten.«
Die Dame vom Felsen begrüßte sie mit freudiger Erleichterung. Sie war eine edle, schöne Frau, von Sorge abgehärmt.
Weitere Kostenlose Bücher