König Artus
im Burggraben waren an dem hineingeworfenen Unrat verendet. Die versammelte Ritterschaft des Umlands saß in der großen Halle und versuchte, möglichst viel Dünnbier in sich hineinzuschütten, um sich das Blut im Leib zu wärmen.
Die Dame Lyne beklagte sich nicht über die Burg, doch als sie die ritterliche Versammlung sah, wurde sie unruhig und wollte wieder fort. Leise sprach sie zu Ewain neben ihr an dem langen Tisch, der mit den grausig anzusehenden Kadavern halb gebratener Schafe bedeckt war.
»Die Sache gefällt mir nicht«, raunte sie. »Ich mache mir Sorgen. Hier ist kein einziger Mann, der eine Brücke gegen ein Kaninchen verteidigen könnte. Doch gerade bei solchen Zusammenkünften gehen große Ritter durch unglückliche Zufälle zugrunde. Es macht mir nichts aus, einen Mann in einem berühmten Zweikampf mit einem ebenbürtigen Gegner zu verlieren, aber durch Zufälle … Hört mir gut zu, junger Mann: Geht keine Risiken ein, keinerlei Risiken! Mit den Männern, gegen die Ihr kämpft, werdet Ihr keine Probleme haben. Was ich fürchte, das ist ein ungeschickter Hieb, der auf einen anderen zielt. Vergangenes Jahr nahm an einem solchen Turnier wie hier ein Schüler von mir, Sir Reginus, teil, der die Welt der ritterlichen Kämpfer in Staunen versetzt hätte. Da holte so ein Tölpel zu einem großen Hieb gegen einen anderen Mann aus und ließ dabei den Schwertgriff los. Das Schwert flog durch die Luft, die Spitze bohrte sich durch die Sehschlitze von Reginus’ Visier, drang durchs rechte Auge ins Gehirn, und er fiel langsam, wie eine gefällte Fichte, in den Sand. Nein, das hier gefällt mir ganz und gar nicht.«
Am folgenden Morgen fand bei Regen auf dem glitschigen Platz das traurige Turnier statt. Obwohl mit einer Dreckkruste überzogen und von hochspritzender Jauche geblendet, stieß Sir Ewain dreißig Ritter vom Pferd und errang den Siegespreis, einen Geierfalken mit schimmerndem Gefieder und einen Schimmel mit einer Schmuckdecke aus gelbem Tuch, Goldtuch genannt, um es vornehm zu machen. Ewain wischte sich über die Augen und brachte seine Trophäen der Dame Lyne.
»Ich danke Euch für Eure noble Geste, teurer Ritter«, sagte sie und setzte hauchend hinzu: »Wenn Ihr nicht Sieger geworden wärt, hätte ich Euch im Burggraben ertränkt, nur daß der Graben dummerweise der einzige trockene Ort in diesem Landstrich ist.«
»Ich gelobe, Euch ein pflichtgetreuer Diener zu sein, Madame«, erklärte Ewain feierlich.
»Machen wir uns rasch auf den Weg«, sagte sie. »Unter einem Baum im Wald werde ich besser und trockener schlafen.« Sie trat zu ihrem Gastgeber und dankte ihm artig. »Herr Ritter«, sagte sie, »dieser Mann, der für mich kämpfte, hat soeben Kunde von einem Aufruhr auf seinen Ländereien erhalten. Mit Eurer Erlaubnis müssen wir scheiden, um ihn niederzuschlagen.«
»Natürlich muß er das. Wo hat er denn seine Ländereien, Madame?«
Sie machte eine unbestimmte Handbewegung ostwärts. »Weit von hier«, sagte sie. »Ganz am Rand der Welt. Er muß augenblicklich aufbrechen.«
»Das muß Muscony sein, Madame.«
»Ja, Muscony {*} «, sagte die Dame Lyne.
Abends in einem guten Nachtquartier unter einem überhängenden Felsen, das mit üppigen Kleidungsstücken aus den Satteltaschen von Lynes Leuten ausgelegt und gepolstert war, legte sich die Dame auf ihrem Ruhelager aus aufeinandergelegten Pelzen zurück und seufzte befriedigt. »Die armen Teufel«, sagte sie. »Sie können immer nur eine Sache auf einmal lernen. Eben jetzt habe ich ihnen erst beigebracht, mich nicht zu bestehlen. Nun, morgen ist wieder ein anderer Tag. Morgen reiten wir zu der Burg der Dame vom Felsen.«
Als sie aufbrachen, fiel der kalte Märzregen noch immer. Die Pferde senkten die Köpfe und legten die Schweife dicht an, um sich etwas davor zu schützen.
»Hoffentlich habt Ihr Euren Harnisch mit Fett eingerieben«, sagte die Dame. »Wenn nicht, werdet Ihr alsbald aussehen wie ein rostiger Nagel. Zum Glück ist die Burg auf dem Felsen nicht weit entfernt. Und dort werdet Ihr ein Abenteuer erleben, das zu erzählen sich lohnt. Ich nehme an, bei Eurem Ritterschlag habt Ihr geschworen, den Damen beizustehen und Witwen und Waisen zu beschirmen, namentlich solche von edler Abkunft.«
»So ist es«, sagte Ewain. »Und ich werde meinen Schwur halten.«
»Ihr habt Glück«, sagte sie. »Die Dame vom Felsen ist all dies zusammen – Witwe, Waise und von edler Abkunft. Außerdem bedarf sie mehr des Beistands als sonst
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