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König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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seine Zeit gekommen, der Augenblick, in die Welt hinauszugehen. Heute würde er es Mirjam und Joseph, seinem Vater sagen. Er fürchtete sich nicht vor der Reaktion der beiden, denn er kannte sie bereits. Joseph hatte seinen Sohn bereits vor langer Zeit abgeschrieben und würde weiter nichts zu dieser Sache sagen. Ihm war vollkommen bewusst, dass Jeshua nicht in seine Fußstapfen treten und sein Nachfolger in der kleinen Tischlerwerkstatt werden würde. Es hatte dem Jungen damals durchaus nicht an Talent gefehlt und bis heute half er seinem Vater fast täglich bei den anfallenden Arbeiten. Doch Jeshua hatte schon seit frühester Kindheit mehr Interesse an Gott und der jüdischen Religion gezeigt, als am Tischlerhandwerk. Er war ein Mann des Glaubens geworden, nicht mehr und nicht weniger. Er würde seinem Vater kein Nachfolger sein, damit hatte Joseph sich abgefunden. Nun, allzu schlimm war es nicht – immerhin gab es noch Jeshuas jüngeren Bruder Jakob. Aus ihm war ein so fleißiger Lehrling geworden, wie Joseph ihn sich nur wünschen konnte.
    Mirjams Reaktion auf Jeshuas Fortgang würde zweifellos schlimmer zu ertragen sein. Sie hing sehr an ihrem Erstgeborenen, hatte es schon immer getan, und sie würde es nicht verstehen. Sie würde weinen und Jeshua war sich keineswegs sicher, wie er die Tränen seiner Mutter würde ertragen können. Das Leid anderer Menschen hatte ihn schon immer gerührt. Das seiner Mutter würde unerträglich sein.
    Er seufzte, dann wandte er den Blick von seinem Dorf ab und sah auf den steinigen Weg zu seinen Füßen, der ihn schon bald von hier fortbringen würde. Wohin würde der Herr seine Schritte lenken? Jeshua wusste es nicht, und doch war er sich vollkommen sicher, dass er am Ende seines Weges einem Ziel entgegengehen würde, das größer war, als er selbst.
    „Sag an, Jeshua, Josephs Sohn. Was mag dir in diesem Augenblick durch den Kopf gehen?“
    Jeshua schrak zusammen und wandte sich überrascht um. Er hatte nicht bemerkt, dass sich ihm jemand genähert hatte. Doch plötzlich saß dort schräg hinter ihm ein Mann auf einem Felsen am Wegesrand, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Der Fremde war in ein weißes Gewand gehüllt, das im gleißenden Sonnenlicht des Mittags kaum mit den Augen zu erfassen war. Es strahlte so hell, dass es die Augen schmerzte, wenn man länger dorthin sehen wollte. Jeshua blinzelte und blickte in ein Gesicht, das ihm schöner und ebenmäßiger vorkam, als es nach menschlichen Maßstäben angemessen war. Der Fremde schien sein Gegenüber derweil amüsiert zu betrachten, beinahe so, als wisse er schon jetzt genau, wie dieses Gespräch ablaufen würde.
    „Woher kennst du meinen Namen?“, fragte Jeshua, nachdem er den ersten Schrecken über diese unerwartete Begegnung überwunden hatte. „Ich habe dich hier noch nie zuvor gesehen. Kommst du aus Tiberias?“
    Der Fremde lächelte. „Du hast eine wunderschöne Stimme, weißt du das?“
    Jeshua zögerte verwirrt. „Wer bist du?“, fragte er noch einmal.
    „Ich komme nicht von hier“, erwiderte der Fremde, während er seinen Blick beinahe angewidert über die umliegende Landschaft schweifen ließ. „Aber ich weiß sehr wohl, wer du bist. Du bist jener, der gesandt wurde, um eine Stimme in der Stille zu sein. Ein Licht in der Dunkelheit. Der Felsen im Meer des Chaos. Du wirst seit langer Zeit erwartet, von weitaus mehr Wesen in Gottes Schöpfung, als du es dir vorstellen kannst.“
    Jeshua legte den Kopf schief und betrachtete sein Gegenüber nun noch einmal genauer. Schließlich kam er zu einem Schluss.
    „Du bist kein Mensch, richtig?“, fragte er.
    Der Fremde lächelte. Fast wirkte er erfreut darüber, dass man ihn erkannt hatte. „Das stimmt, Jeshua. Und ich sollte mich kaum darüber wundern müssen, dass du weißt, was ich bin. Du dürftest zurzeit auf dieser Welt der einzige sein, der meine wahre Natur zu erkennen vermag.“
    „Was befiehlt mein Vater?“, fragte Jeshua ernst.
    Das Gesicht des Fremden verzog sich für einen Moment zu einer hässlichen Fratze, einen Wimpernschlag lang nur, und doch hatte er sich für diesen einen Augenblick lang so wenig unter Kontrolle, dass Jeshua seine wahre Natur erkannte.
    „Du wurdest nicht von Gott gesandt“, stellte er fest. „Du bist ein Gefallener. Ein Anhänger Samaels. Ein Satan.“
    Der Fremde nickte. Mittlerweile hatte er sich wieder im Griff. Nur seine schwere Atmung verriet, dass er innerlich höchst aufgebracht war.
    „Nein, unser ‚Vater‘

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