König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
freundlicher, doch Eleanor atmete unwillkürlich auf, als sie ihr neues Reich betrat. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Leben mehr und mehr in geordnete Bahnen geriet und sie blickte voll Zuversicht in die Zukunft.
Sie öffnete die Schranktür und legte ihren Reisekoffer dort hinein. Auspacken würde sie ihn zu einem späteren Zeitpunkt. Stattdessen trat sie an das offene Fenster und blickte hinaus in den Park. Die Sonne schien ungewohnt freundlich vom Himmel und hatte die ständigen Regenwolken der vergangenen Wochen endlich vertreiben können. Sie tauchte den Park in bunte Farben und zauberte flirrende Lichtmuster auf die Wege unter den mächtigen Bäumen. Insekten brummten geschäftig zwischen den Blumenbeeten und Vögel sangen ihr Lied in diesen Sommertag hinaus.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ Eleanor herumfahren.
„Dein Zimmer ist größer als meines“, grinste Raphael, der ungewohnt lässig am Türrahmen lehnte.
Eleanor lachte. „Ist es nicht. Die Zimmer sind alle gleich groß.“
Raphael löste sich von der Tür und kam auf Eleanor zu. Sie lief ihm entgegen und fiel in seine Arme.
„Sag nicht, dass du deine Koffer schon ausgepackt hast“, lachte Eleanor. „So schnell kannst selbst du nicht sein.“
„Welche Koffer? Ich hatte nichts bei mir, als ich hierher kam. Das weißt du doch.“
Raphael zog Eleanor an sich.
„Gut, dass du jetzt gleich nebenan wohnst“, flüsterte sie selig, während sie sich an ihn drückte.
„Das sagst du nicht mehr, wenn du mich erst von drüben Schnarchen gehört hast.“
„Engel schnarchen nicht!“
„Woher weißt du das? Mit wie vielen Engeln warst du schon zusammen? Gibt es da etwas, dass ich wissen sollte?“
Eleanor grinste wortlos zu Raphael hinauf und boxte ihn in die Brust. Dann löste sie sich von ihm und wandte sich ab.
„Wollen wir ein wenig hinaus gehen?“, fragte sie und lächelte verheißungsvoll.
An diesem Nachmittag saß Eleanor Dr. Marcus gegenüber. Sie sah sein Behandlungszimmer mittlerweile nicht mehr als bedrohlich oder gar furchteinflößend an. Noch vor wenigen Wochen hatte sie in diesem Raum nicht den Blick zu heben gewagt. Die Vorstellung, dass ein Seelenklempner, ein Mensch, in ihren Kopf eindringen wollte, hatte in ihr zu blanker Panik geführt und alle Versuche von Dr. Marcus, sie zunächst einmal ein wenig kennenzulernen, zunichte gemacht.
Erst ihre Bekanntschaft mit Raphael hatte dies geändert. Und dabei waren die beiden so unterschiedlich, wie man nur sein konnte. Während Eleanor schwach und unsicher war, strahlte Raphael eine Stärke und Selbstsicherheit aus, die jedem deutlich machte, dass er nichts im Leben wirklich fürchtete. Er bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit durch die Welt, als wisse er immer schon im Voraus, was ihn hinter der nächsten Ecke und in der nächsten Stunde erwartete. Allein Eleanor wusste zudem, dass eine einzige Berührung von ihm einen Menschen in höchste Glückseligkeit versetzen konnte – oder ihn unter größten Qualen zu Asche zu verbrennen vermochte. Und dennoch gab es eine Sache, in der sie beide sich so sehr glichen, dass sie sich vom ersten Augenblick an einander verbunden gefühlt hatten. Beide hatte die Ohnmacht geeint, ihre größte Sehnsucht nicht aus eigener Kraft erfüllen zu können, sich nach etwas zu sehnen, das außerhalb ihrer Reichweite stand. Erst ineinander hatten sie so etwas wie Erfüllung gefunden.
Eleanor musste lächeln, als sie an Raphael dachte. Sie bemerkte kaum, wie Dr. Marcus mit ihr sprach. Erst als es plötzlich verdächtig still im Raum wurde, schreckte sie auf. Dr. Marcus hatte zu sprechen aufgehört und starrte Eleanor mit einem feinen Lächeln um die Mundwinkel an.
„An deiner Konzentration mangelt es noch“, sagte er verschmitzt. „Immerhin kannst du mittlerweile lächeln, das ist ja auch schon etwas.“
Eleanor warf ihm einen irritierten Blick zu.
„Wir werden uns ab jetzt nur noch einmal wöchentlich sehen“, fuhr Dr. Marcus fort, indem er sich erhob. „Du bist auf einem guten Weg. In der offenen Abteilung wird sich dein Leben schneller normalisieren, als in der Geschlossenen.“
Er reichte ihr über den Schreibtisch hinweg die Hand und Eleanor beeilte sich, aufzustehen und seinen Händedruck zu erwidern. Sie brachte sogar so etwas wie ein gequältes Grinsen zustande. Dann wandte sie sich um und verließ das Zimmer.
Während sie die Flure von Stratton Hall entlangging, dachte sie nach. "Kein Wunder", ging es ihr durch den
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