Koenig Nicolo Oder So Ist Das Leben
Worin habe ich mich denn versehen? – – Diese Bestie glaube ich im Laufe eines Jahres zum Menschen erzogen zu haben? – Plötzlich, nach all der Mühe, fällt sie mir wieder ins Tierreich zurück? – Oder
Sich betastend.
habe ich geträumt? – Daß der Krug zerbrochen war, ist ganz unmöglich. – Diesen Morgen trank ich noch daraus. Er wird ihn jetzt draußen zerschlagen und mir dann die Scherben vorzeigen! – Ob er mich heute dursten läßt? – Soll er mich dursten lassen! So brauche ich doch wenigstens sein Gesicht nicht zu sehen. – Wenn er kommt, dann empfange ich ihn mit einem Blick, vor dem sein Auge sich in die Erde bohrt.
Sich Haltung gebend.
Hilf mir, königliche Majestät, daß der Geselle sich seine Niederträchtigkeit selbst ins Bewußtsein zurückruft! – –
Horchend.
Da ist er schon! – Ein Zweikampf ohne Waffen – Mensch gegen Mensch!
Die Tür öffnet sich rasselnd. Drauf tritt Prinzessin Alma, gekleidet wie im vorigen Bild, in beiden Händen einen Krug tragend, in die Zelle. Hinter ihr fällt die Tür krachend wieder ins Schloß.
DER KÖNIG
in maßlosem Freudenschreck.
Alma?! Mein Kind?! – O tierische Bosheit!
ALMA. O Vater, ich kann Euch ja nicht umarmen! Ich bringe Euch diesen Krug mit Wein.
DER KÖNIG
nach Atem ringend, beide Hände auf der Brust.
O satanische Grausamkeit! –
Nimmt ihr den Krug ab und setzt ihn beiseite.
Wo kommst du her, mein Kind? – Zwölf Monde lechzte ich nach deinem Anblick! Du lebst noch; du bist gesund und wohl. Sprich, wie ergeht es dir unter den elenden Menschen?
ALMA. Wir haben nur einen kurzen Augenblick! Endlich gelang es mir, den Wärter zu bestechen; und von nun an läßt er mich jede Woche einmal zu Euch kommen. Sagt mir rasch, wie ich Eure Leiden mildern kann!
DER KÖNIG
höhnisch.
Meine Leiden! – Ja! Welch ein Vater bin ich, daß ich mein Kind der Welt schutzlos überantworte! Das sind meine Leiden! – Sonst danke ich Gott jeden Tag, daß ich durch diese sechs Fuß dicken Mauern von der Menschheit getrennt und vor ihr in Sicherheit bin!
ALMA. Ihr seht mir wohl an, mein Vater, daß die Menschen lieb zu mir sind. Ich stehe noch bei dem Gerichtsschreiber in Dienst. Sagt mir nur, was ich Euch bringen darf, um Eure Kräfte zu stärken. Welch furchtbare Qualen müßt Ihr hier erduldet haben!
DER KÖNIG
im Flüsterton, aber sehr lebhaft.
Nein, nein, mein Kind! Bring mir nichts Fremdes in diese Einsamkeit. Du weißt ja nicht, mit welcher Windeseile die Zeit hier verfliegt! Zu Anfang hatte ich siebenhundertunddreißig Striche in jene Mauer gekritzelt, um jeden Tag die Freude zu haben, einen auszulöschen. Wie bald mußte ich sie wochenweise, mondenweise tilgen. Und jetzt sehe ich nur noch mit Grauen, wie rasch ihrer weniger werden, bis der letzte dahin ist und ich wieder unter überhängenden Felsen Obdach suche und mich mit den Wölfen um ihre Jagdbeute reiße! – Aber laß dich meine Worte nicht betrüben! Du kannst ja nicht wissen, wie mich der Wärter auf dein Kommen vorbereitete!
ALMA. Mit stummem Entsetzen denke ich, wie teuflisch er Euch martern wird!
DER KÖNIG
mit verächtlichem Lächeln.
Was du dir einbildest! Dazu müßte er kein schwacher Erdenwurm sein. Mit meiner Empfindungslosigkeit hält keine Grausamkeit gleichen Schritt. Weißt du, daß er, ohne die geringste Klage von mir gehört zu haben, hier schon helle Tränen geweint hat? Wer ist auch so entartet, daß er nicht dankbar wird, wenn sein besseres Selbst unverhofft Anerkennung findet! – Die Freude, dich, mein Kind, wiederzusehen, konnte er mir freilich nicht ungetrübt gönnen. Aber
Im Ton tiefster Verachtung.
das liegt an der feigen Angst, die sein Beruf ihm einflößt. Der arme Mensch ist so eifersüchtig auf die lächerliche Scheingewalt, die er mit seinem Schlüsselbund ausübt, daß er durch die Gnade, die er mir heute erweist, schon völlig überflüssig zu werden fürchtete. Aber, hast du nicht Mangel gelitten, um die Gunst dieses Schurken zu erkaufen?
ALMA. Redet nicht von mir, mein Vater! Die Zeit vergeht, und ich weiß nicht, wie ich Euch helfen kann!
DER KÖNIG
vollkommen ratlos, verlegen lächelnd.
Ich weiß es wahrhaftig auch nicht! – Wäre ich ein tüchtigerer Mensch, dann erschiene mir mein Schicksal vielleicht bedauernswürdig. Armselig, wie ich bin, zittre ich nur vor dem Augenblick, wo mich keine eisenbeschlagene Tür mehr schützt, wo kein Gitterfenster mehr hindert, daß man zu mir hereinsteigt, wo ich wieder unter Menschen stehe, mit
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