Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Ruhestätte markiert.
Auch in den nächsten Jahren blieb dem Erzbischof nur wenig Zeit, in der Stadt zu verweilen, zu deren Fürsten man ihn erwählt hatte. Wieder reiste er rastlos im Dienste des Kaisers und beteiligte sich mit hundert Cölner Rittern an dessen viertem Italienzug. Doch nach dem Sieg bei Tusculum ereilte ihn wie auch so viele andere das Schicksal. Er war eines der Opfer, welche die große Seuche forderte, die im August des Jahres 1167 das Heer der Kaiserlichen lichtete. Seine Gebeine aber wurden wie die Drei Könige nach Cöln überführt, wo man ihm im Dom ein prächtiges Begräbnis bereitete.«
AM UFER DES RHEINS, NAHE CÖLN, AM FÜNFTEN JANUAR 1189
Gegen Ende der Erzählung Ingerimms war Hartmann immer unruhiger geworden. Es hatte zu dämmern begonnen, und noch immer waren die hohen Türme des Cölner Doms nicht zu sehen. So stellte er keine Fragen, nachdem sein Weggefährte seine Geschichte beendet hatte, sondern trieb sein Pferd zu größter Eile an. Ingerimm aber fiel zurück. Als sich dann endlich der Schattenriss der Stadt gegen den abendlichen Himmel abzeichnete, stand zu vermuten, dass man ihnen keinen Einlass mehr gewähren würde. Ingerimm blieb bei einem großen Gasthaus zurück, vor dem etliche Karren abgestellt waren und aus dem fröhlicher Lärm bis weit auf den Weg hinaus klang. Hartmann aber ritt noch bis zum Eigelsteintor, nur um seine Befürchtungen bestätigt zu finden. Sie waren zu spät! Das Tor war bereits geschlossen. Sie würden bis zum nächsten Morgen warten müssen, und es war zweifelhaft, ob sie den Dom noch zur rechten Zeit erreichen würden, um zur Dreikönigsmesse einen Platz zu ergattern.
Enttäuscht kehrte der Ritter zum Gasthof zurück und versorgte sein Pferd. Es war wieder kälter geworden.
Hartmann fand Ingerimm an einem Ecktisch. Obwohl der Gasthof überfüllt war, saß der Maskierte allein da. Vor
ihm auf dem Tisch stand ein Krug angewärmter Wein. Ingerimm deutete auf einen Becher. »Trink, Dickkopf! Es ist sinnlos, sich gegen das Offensichtliche aufzubäumen.«
»Du hast gewusst, dass wir es nicht schaffen würden.« Hartmann war zu enttäuscht, um sich zu streiten.
»Es bedeutet dir so viel? Nach allem, was ich dir erzählt habe?«
Der Ritter schwieg. Er hielt den warmen Tonbecher umklammert.
»Wir werden gleich Braten bekommen und frisches Brot. Wir müssen gewappnet sein. Es wird eine kalte Nacht«, erklärte Ingerimm.
»Wohin gehen wir?«
»In die Stadt.«
Der Ritter schüttelte verärgert den Kopf. »Hörst du mir nicht zu, alter Narr? Die Tore sind versperrt.« Er war zu müde, um noch länger die steifere Form der Anrede zu pflegen.
Ingerimm griff unter sein Wams und zog eine flache Ledertasche hervor. »Dies hier ist mein Erbe.« Die Tasche war weniger als einen Finger dick und so groß wie zwei Hände. Er öffnete sie und holte ein abgewetztes Pergament heraus. Es war voller dunkler Flecken, und die Schrift war so verblasst, dass man sie kaum lesen konnte. »Die ältere Fassung der Heiligenvita Helenas, die ich im Sankt Katharinenkloster gefunden habe«, erklärte Ingerimm. Er legte das Dokument vor Hartmann auf den Tisch.
Vorsichtig griff der Ritter nach dem Pergament. Ein Schauer durchfuhr ihn, als er es berührte. Er dachte daran, wie viel Leid die drei Ritter und Zenon hatten erleiden müssen, um dieses Schriftstück zu finden.
»Und dies hier ist eine Abschrift des Josephos.« Ingerimm zog ein zweites Dokument aus der Tasche. Es war goldgelb und ganz sauber. Winzige Buchstaben zogen sich über dünne Linien. »Ich habe mir erlaubt, es aus dem Griechischen zu übersetzen. Fast zwanzig Jahre habe ich dem Text nachgespürt. Josephos wird in unseren Klöstern zwar viel gelesen, doch was ich suchte, war nicht zu entdecken. Es gab in den Texten, die ich zunächst fand, keinen Bezug zu den Heiligen Königen. Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, dass wir ihm außer den Antiquitates Iudaicae, den Judäischen Altertümern, die allein schon zwanzig Bände umfassen, noch ein anderes Werk verdanken, Die Geschichte des Judäischen Krieges. Und hier habe ich endlich gefunden, was ich suchte. Ich musste Griechisch lernen und habe dann auch diese sieben Bücher mehrfach gelesen, bis ich begriff, denn auch hier wurden die Heiligen Könige nicht genannt.«
Die Hand des Alten glitt über die oberen Zeilen. »Dies hier ist aus dem zehnten Kapitel des ersten Buches über den judäischen Krieg: Den gleichen Namen - nämlich Herodeion
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