Königin für neun Tage
armen Menschen Arbeit und Brot gaben. Wir führten kein leichtes, aber ein erfülltes Leben.«
»Was ist geschehen?«
Jane verspürte keine Angst mehr. Die Männer hatten offensichtlich nichts gegen sie persönlich und würden zwei wehrlosen Frauen sicherlich kein Leid zufügen.
Ein erneutes Ausspucken.
»Es kamen Männer wie Euer Vater und Euer Schwiegervater, Lady Dudley, die die Klöster plünderten, Fenster zerschlugen und alle Kostbarkeiten in ihre eigenen Häuser trugen. Sie nahmen das Gemeindeland weg und vertrieben uns Bauern von den Feldern. Unsere Katen wurden eingerissen, das Vieh für opulente Mahle geschlachtet. Was blieb uns anderes übrig, als zu betteln, um unsere Familien zu ernähren? Was, sagt es uns Mylady, was sollen wir tun?«
Bestürzt hatte Jane seinem Wutausbruch gelauscht. Es war das erste Mal, dass sie mit Armut konfrontiert wurde. Natürlich hatte sie gewusst, dass der größte Teil der Bevölkerung nicht mit Dienstboten in herrschaftlichen Häusern wohnte und auch nicht ausreichend zu essen hatte. Aber es war ein großer Unterschied, ob man von dem Elend hörte oder ob man ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
»Was willst du? Geld?«
»Geld! Pah!« Verächtlich drehte er sich zu seinen Kumpanen um. »Wir wollen unsere Felder zurück. Und unsere Rechte als freie Bauern.«
»Ich werde mit meinem Mann sprechen. Er wird wissen, wie wir euch helfen können«, versprach Jane, doch der Mann war durch diese Worte nicht zu beruhigen.
»Euer Mann ist ein Dudley, Mylady. Und die Dudleys sind seit Jahrzehnten die größten Ausbeuter des Landes. Sie manipulieren Menschen und setzen sie für ihre Belange ein, als seien sie nicht mehr als Vieh. Nein, Mylady, irgendwann wird die Stunde kommen, dann werden sich alle Bauern und Bettler von ganz England gegen solche wie Euch erheben. Dann wird wieder Gerechtigkeit herrschen.«
Antonia zupfte an Janes Ärmel. »Wir sollten gehen«, flüsterte sie.
Der Mann hatte ihre Worte gehört. »Ja, geht nur! Kehrt zurück in Euer schönes Haus und genießt den fetten Braten, der auf dem Spieß brutzelt, aber vergesst nicht meine Worte!«
So schnell, wie sie gekommen waren, schlugen sich die zerlumpten Gestalten wieder in die Büsche und waren verschwunden. Zurück blieb nur der Geruch der ungewaschenen Leiber.
»Glaubst du, der reformierte Glaube hat wirklich an all dem Schuld?«, fragte Jane nachdenklich. »Ich weiß, dass unter den meisten katholischen Geistlichen Korruption und Verderbtheit herrschten. Sie verlangten von uns, Heiligenbilder zu verehren und lateinische Litaneien aufzusagen.«
»Ich glaube nicht, dass es König Henry darum gegangen ist«, antwortete Antonia zögernd. »Hinter vorgehaltener Hand wird erzählt, dass er durch die Auflösung der Klöster seine Privatschatulle füllen konnte.«
»Du meinst, Henry sei es nie darum gegangen, das Volk dem richtigen, dem wahren Glauben zuzuführen? Das ist ein unglaublicher Gedanke, denn Edward lebt dafür, den reformierten Glauben in ganz England zu verbreiten, und ich weiß, dass ihm ausschließlich das Wohl der Menschen am Herzen liegt.«
Antonia schwieg. Bei sich dachte sie jedoch, dass der König wohl so denken mochte, er aber nur ein Spielball in den Händen seiner Berater war, und die zeigten sich nicht weniger korrupt als die einstigen Priester.
Aufgewühlt kehrten beide nach Bringham zurück, wo sich Jane sofort in ihr Zimmer zurückzog. Sie wollte allein sein, um über das Erlebte in Ruhe nachzudenken.
Trotz des strahlenden Sonnenscheins waren alle Vorhänge in dem prunkvollen Raum geschlossen. Die Luft war dumpf und stickig. Schwach hob der König den Kopf, als die Tür geöffnet wurde.
»Elizabeth«, flüsterte er, »wie schön …«
Elizabeth erschrak über das Aussehen ihres Bruders. Sie versuchte jedoch, ihn aufmunternd anzulächeln, und setzte sich auf die Bettkante.
»Lasst uns allein«, wies sie die Diener an, die Tag und Nacht nicht vom Bett des kranken Königs wichen. Die Männer zögerten, schauten unsicher zu Edward.
Er hob schwach die Hand. »Ja, bitte geht. Ich möchte mit meiner Schwester unter vier Augen sprechen.«
Elizabeth griff nach der Schüssel, die auf dem Nachttisch neben dem Bett stand, und wrang das Tuch aus. Sanft tupfte sie über Edwards heiße und schweißnasse Stirn.
»Du hast mich rufen lassen, Edward?«
»Ich brauche einen Menschen, mit dem ich offen sprechen kann. Elizabeth, ich werde sterben. Bald schon.« Elizabeth widersprach ihm nicht, denn es war
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