Königin für neun Tage
Herren, aber nicht alle hatten ein solch zartes und schutzbedürftiges Wesen wie Jane Grey zur Frau. Er wollte Guildford auf jeden Fall im Auge behalten, er würde es nicht zulassen, dass Jane verletzt wurde.
Norman selbst war im Auftrag von Lord Fenton nach Southwark gekommen und hatte in einem Gasthaus dem Wirt einen Beutel Geld ausgehändigt. Norman wusste nicht, wofür das Geld war, es interessierte ihn auch nicht. Sein Herr verkehrte oft in zweifelhaften Häusern am südlichen Themseufer. In Augenblicken wie diesem dachte er daran, wie angenehm es sein müsste, fernab aller höfischen Intrigen irgendwo auf dem Lande zu leben. Ein kleines Haus mit ein wenig Landbesitz zu haben, am Abend von den Feldern nach Hause zu kommen und von einer liebevollen Frau, die vor dem Kamin Babykleidung nähte, empfangen zu werden …
Hektisch fuhr sich Norman über die Augen, um das trügerische Bild zu verscheuchen. Zu allem Unglück trug die Frau in seinem unrealistischen Traum die Züge von Antonia! Nein, ein solches Leben war nichts für einen Norman Powderham, der nichts auf der Welt so sehr liebte wie seine Freiheit und seine Unabhängigkeit. Vage erinnerte er sich daran, wie er Antonia in seinen Armen gehalten und geküsst hatte. Leise stöhnte er auf, er wusste nicht, ob er die Sache einfach ignorieren oder sich bei ihr dafür entschuldigen sollte. Es war ein Fehler gewesen, bedingt durch die sentimentale Stimmung, die eine Hochzeit bei manchen Menschen auslöste. Nie hätte Norman aber geglaubt, dass er dafür anfällig sein könnte. Trotzdem löste die Erinnerung an den biegsamen Körper Antonias ein Kribbeln in seinem Bauch aus, und das war etwas, was er absolut nicht wollte. Er hoffte nur, dass auch Antonia nur dem Zauber des Augenblickes verfallen war und von ihm keine Fortsetzung dieser kleinen Tändelei erwartete. Komplikationen waren nämlich etwas, das in Normans Leben keinen Platz hatte.
»Ich verstehe wirklich nicht, warum wir nicht heute noch nach Bringham weiterreisen können.«
Murrend stieg Jane aus der Kutsche. Guildford nahm sie stützend am Arm und führte sie auf das Gasthaus zu.
»Weil wir in völliger Dunkelheit ankommen würden, Mäuschen«, sagte er zärtlich. »Ich möchte aber, dass du dein neues Heim das erste Mal bei Sonnenschein siehst.«
»Das ist mir egal«, beharrte Jane. »Ich finde es umständlich, die Nacht in einem Gasthaus zu verbringen.«
»Es ist das beste Haus in ganz Kent, und du wirst bestimmt tief und ruhig schlafen. Zudem weiß ich nicht, was uns in der Priorei erwartet. Deswegen habe ich Männer und ein paar Frauen nach Bringham vorausgeschickt, damit sie Feuer in den Kaminen anzünden und alles für unsere Ankunft vorbereiten können.«
Insgeheim musste Jane ihrem Mann Recht geben. Tatsächlich war sie von der Fahrt, zu der sie bei Morgengrauen aufgebrochen waren, sehr erschöpft. Jetzt stand die Sonne bereits tief am Himmel. Würden sie ihre Reise heute noch fortsetzen, bestünde kaum Hoffnung, Bringham vor Mitternacht zu erreichen.
Antonia half Jane, die Sachen, die sie für die Nacht brauchte, herauszusuchen. Die Dachkammer war zwar klein, aber gemütlich eingerichtet und sauber. Frische, duftende Binsen verströmten einen angenehmen Geruch nach Lavendel, die Laken waren weiß und weich. Guildford hatte veranlasst, dass ihnen später ein leichtes Abendessen serviert wurde.
»Ach Antonia, ich sehe gerade, dass ich die Tasche mit meinem Frisierbesteck im Wagen gelassen habe«, sagte Jane. »Wärst du so freundlich, mir diese zu holen? Ich kann aber auch nach einem Diener schicken.«
»Nein, nein, ich mach das schon«, erwiderte Antonia. Sie war froh, etwas zu tun zu haben. Während sie die steile Treppe hinabstieg, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, was künftig ihre Aufgaben im Hause von Lord und Lady Dudley sein würden. Jetzt, da Jane verheiratet war, musste ihre ganze Aufmerksamkeit dem Gatten gelten. Bestimmt würde Jane ihre Studien fortsetzen, bei denen Antonia ihr gerne Gesellschaft leistete, doch wie sollte sie in Zukunft ihre Abende verbringen, wenn Jane und Guildford sich in trauter Zweisamkeit zurückzogen?
In der Gaststube, die Antonia durchqueren musste, um zur Kutsche zu gelangen, herrschte viel Betrieb. Männer tranken und lachten, es roch nach saftigem Braten und Bier. Da entdeckte Antonia Guildford in einer Ecke und sah, wie er vor aller Augen ein Schankmädchen mitten auf den Mund küsste. Vor Empörung wollte Antonia auf ihn zu stürmen und ihm die
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