Königin für neun Tage
Grund, der gegen die Heirat spricht.«
»So? Und welchen, Mylord?«
»Edward wird sterben.«
Kalt und nüchtern hingen die Worte im Raum, nur das Knistern des Feuers war zu hören.
»Was sagt Ihr da, John?«, fragte Grey entsetzt.
»Er wird bald tot sein. Vielleicht noch zwei Monate, vielleicht auch noch drei, höchstens ein halbes Jahr. Ihr wisst, dass König Henry in seinem Testament vermerkt hat, dass, sollte Edward kinderlos sterben, seine Tochter Mary ihm auf den Thron folgen soll. Und wir alle wissen, was das für unser Land, das wir gerade auf den richtigen Weg geführt haben, bedeuten würde. Mary ist in ihrem Glauben völlig fanatisch. Auf gar keinen Fall darf ein römischer Katholik wieder auf den englischen Thron. Das können wir … das kann kein gerechter Mann in England zulassen.«
»Das wird die Landbevölkerung aber wollen. Sie liebt die lateinischen Litaneien und Mysterien, die Heiligenbilder und den äußeren Prunk.«
»So ist es«, bestätigte Dudley. »Sie sind zu dumm, um zu erkennen, welcher der wahre Glaube ist. Aber sie sind nicht dumm genug, um nicht zu merken, dass ihre einst reich geschmückten Kirchen und Klöster leer sind. Bevor König Henry die Klöster auflöste, sahen sie diese Kostbarkeiten in den Kirchen auf den Altären und Wänden. Und sie werden fragen: Wo sind all diese Schätze geblieben?«
Dudley stand auf, seine Hand strich über einen Kandelaber aus reinem Gold auf dem Kaminsims und sein Blick schweifte zu der Anrichte, auf der kunstvoll bemalte Teller aus Silber und Gold standen. Er musste nichts mehr sagen, Henry Grey verstand. Auch sein Stern würde sinken, wenn Mary Tudor Königin werden würde, denn auch Bradgate Park war voll mit den Schätzen der umliegenden Klöster.
»Ich verstehe allerdings nicht, was das mit Jane zu tun hat. Glaubt Ihr, dass der König nicht mehr in der Lage sein wird, einen Erben zu zeugen?«
Verbittert zog Dudley die Mundwinkel herab. »Ich und Doktor Banister tun alles, damit er noch einige Monate lebt. Die Anstrengungen einer Ehe – Ihr wisst, was ich damit meine – würden ihn auf der Stelle umbringen.«
Nun begann Lord Suffolk das ganze Ausmaß von Dudleys Bedenken zu verstehen. »Aber was sollen wir Eurer Meinung nach dagegen machen? Wir sind nicht Gott, er allein entscheidet über Leben und Tod.«
»Nein, wir sind nicht der Allmächtige, aber es gibt einen Weg zu verhindern, dass eine papistische Fanatikerin Königin von England wird. Aber Euer Kelch ist ja leer! Lasst mich Euch einschenken.«
Dudley griff nach einem neuen Krug. Der Erwerb der hundert Fässer mit dem vollmundigen Wein hatte ihn so viel wie ein mittelgroßes Landgut gekostet. Jetzt war der Anlass jedoch angemessen, das Beste vom Besten zu genießen. Jetzt galt es nur noch, den gütigen Henry Grey von seinem Plan zu überzeugen. Graf Suffolk war zwar ein guter Kämpfer und Staatsmann, aber im Herzen und seinen Töchtern gegenüber viel zu weich und nachgiebig.
Dudleys Mundwinkel kräuselten sich, als er an die vergangene Nacht dachte, in dem eine willige und äußerst kooperative Dame sein Lager geteilt hatte. Frances Grey kannte keine Skrupel, auf keinem Gebiet, und sie wusste ganz genau, was für sie und für ihre Familie das Beste war. Was hatte sie zum Schluss gesagt, als sie wieder in ihr Mieder schlüpfte: »Jane wird tun, was ich sage, denn sie ist meine Tochter. Und mein Mann wird schlussendlich ebenfalls zustimmen. Ich habe noch immer alles erreicht, was ich wollte.«
John Dudley hatte keinen Grund, an diesen Worten zu zweifeln. Er rückte näher an Lord Suffolk heran und unterbreitete ihm seinen Plan.
9. KAPITEL
Obwohl sich Jane aus dem höfischen Leben nichts machte, nahm sie erfreut zur Kenntnis, dass sie nach den Feierlichkeiten nicht nach Bradgate Park zurückkehren, sondern auf unbestimmte Zeit Quartier in Chelsea beziehen würden.
»Ich bin froh, bei der Kälte nicht die tagelange Reise in den Norden machen zu müssen«, sagte sie zu Antonia, die ihr half, ihre Sachen in die Reisetruhen zu packen.
»Chelsea …«, sagte Antonia leise. »Wie es dort wohl ohne Lady Catherine sein wird? Das Haus war doch so von ihrem Charakter geprägt, dass wir denken werden, sie wäre noch allgegenwärtig.«
Nach der Hinrichtung von Thomas Seymour war das Haus in Chelsea der Krone übereignet worden. Edward hatte es dann vor zwei Jahren John Dudley zum Geschenk gemacht, der nun bereits über das vierte Haus in London verfügte. Alle lagen am Ufer der Themse zwischen Temple
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