Königin für neun Tage
Kabinett zu folgen. Bei Janes Eintreten erhob sich die große und beeindruckende Gestalt von John Dudley.
»Mylady Jane.« Er beugte sich über ihre Hand.
»Mylord Northumberland«, Jane wählte bewusst die offizielle Anrede, »Ihr habt mich rufen lassen? Wie geht es dem König?«
»Ich kann Euch sagen, Lady Jane, dass es dem König schon wieder viel besser geht. Es war nur ein kleiner Schwächeanfall.«
»Das freut mich zu hören, Mylord. Möchte er mich sehen?«
Die buschigen Augenbrauen Dudleys kräuselten sich über der Nase. »Das ist im Moment unmöglich, der König wird Euch rufen lassen, wenn es seine Zeit erlaubt. Aber, Lady Jane …«
»Ja, Mylord?«
»Da der König wieder vollständig genesen ist, besteht weder für mich noch für Euch, noch für irgendjemand anderen die Notwendigkeit, überhaupt zu erwähnen, dass er einen kleinen Schwächeanfall erlitten hat.«
Jane entging nicht der verschlagene Ausdruck in seinen Augen. Ruhig sagte sie: »Ich verstehe. Ich soll also für Euch lügen.«
»Lügen? Ihr sollt nicht lügen, sondern einfach nicht darüber sprechen. Das wird Euch doch nicht schwer fallen, Lady Jane. Wie Ihr wisst, liegt es in meiner Hand, wie Euer künftiges Leben verlaufen wird.«
»Ich verstehe«, wiederholte Jane tonlos, ohne sich etwas von dem Sturm, der in ihrem Inneren tobte, anmerken zu lassen.
Befriedigt verschränkte Dudley die Arme vor der Brust. »Das habe ich von einem Mädchen, das Plato auf Griechisch lesen kann, nicht anders erwartet. Ihr entschuldigt mich?« Er wartete ihre Antwort nicht mehr ab und verließ das Zimmer.
Jane hatte die versteckte Warnung in seinen Worten gut verstanden: Wollte sie Edward heiraten, so tat sie gut daran, es sich nicht mit dem Herzog von Northumberland zu verscherzen. Sein Einfluss auf den König war so groß, dass sich Edward widerspruchslos seinen Vorschlägen und Wünschen fügte. Jane wusste, dass es bereits Vorverhandlungen mit einer französischen und einer flandrischen Prinzessin gegeben hatte. Auch die am französischen Königshof lebende Mary Stuart, die Königin von Schottland, wurde vom Kronrat als passende Frau für Edward in Erwägung gezogen. Sie war allerdings, ebenso wie die französische Prinzessin, katholisch, was von John Dudley vehement abgelehnt wurde. Nein, Dudley plädierte für eine Vermählung mit einem jungen und gesunden Mädchen aus gutem englischem Haus.
Das alles war Jane bekannt. Obwohl niemand je mit ihr darüber gesprochen hatte, war sie ein kluges Mädchen, das eins und eins zusammenzählen konnte. Aus diesem Grund würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als über den Vorfall im Park zu schweigen. Selbst Antonia gegenüber erwähnte sie nichts von ihren Bedenken, dass Edward krank und elend aussah. Jane machte sich aber große Sorgen um ihren Freund, den sie seit Kindertagen kannte und jetzt innig liebte.
Während sich Jane ruhelos im Bett wälzte, beschäftigte sich auch John Dudley, der Herzog von Northumberland, mit dem Thema der Vermählung des Mädchens Jane Grey. Allerdings gingen seine Überlegungen in eine völlig andere Richtung.
»Mylord Suffolk, nehmt doch noch von dem Wein«, bot er seinem Gast an, der trotz der späten Stunde seiner Einladung gefolgt war. »Ich habe ihn erst letzte Woche aus Italien importieren lassen, was in Anbetracht der Wetterlage ein schwieriges Unterfangen war.«
Henry Grey kostete und ließ den süßen Saft genüsslich auf seiner Zunge kreisen. »Ihr wolltet mit mir über die Zukunft meiner Tochter sprechen, Mylord?«
»Habt Ihr über eine Vermählung von Jane schon nachgedacht?«, kam der Herzog von Northumberland direkt zur Sache.
Verwundert hielt Henry Grey in der Bewegung inne. »Ja, dass wisst Ihr doch.«
»Und?«
Grey entging nicht der lauernde Unterton in der Stimme des Herzogs.
»Ich sehe keinen Grund, warum sie Edward nicht heiraten sollte.«
Dudley setzte sich neben seinen Gast vor das lodernde Kaminfeuer. »Nennt mich John. Vielleicht werden wir in Bälde ohnehin verwandtschaftlich miteinander verbunden sein.«
Henry Grey setzte erstaunt den goldenen Kelch von seinen Lippen ab. »Ich glaube, ich verstehe nicht … Habt Ihr bisher nicht eine Eheschließung zwischen Jane und dem König befürwortet? Jane ist erstklassig erzogen. Sie ist belesen, gebildet und flink im Denken, dabei aber auch geschickt im Umgang mit der Nadel, und sie …«
»Hört auf!«, unterbrach Dudley lachend. »Mir sind die Vorzüge Eurer Tochter durchaus bekannt. Es gibt allerdings einen
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