Königin für neun Tage
demütig den Kopf. »Lasst mich mit meiner Cousine allein«, hörte sie da zu ihrer Verwunderung die befehlende Stimme Edwards.
»Aber mein König, Ihr könnt doch nicht …«
»Ich kann, Mylord Dudley. Ich bin kein Kind mehr. Kehrt in den Palast zurück und veranlasst, dass gewürzter Wein erwärmt wird. Wenn Lady Jane und ich zurückkehren, werden wir eine heiße Stärkung zu schätzen wissen.«
Erstaunt erhob sich Jane und musterte den König. In seinen braunen Augen tanzten goldene Sprenkel, und Jane stellte erneut fest, wie gut er aussah. Edward hatte weder die Statur noch die eng stehenden Augen seines Vaters geerbt, er glich vielmehr seiner lieblichen Mutter aus der Familie der Seymours. Edward reichte ihr den Arm, und sie legte ihre Hand auf seinen Ärmel. Gemeinsam schritten sie durch den Park, der gefrorene Schnee knirschte unter ihren Schritten.
Als sie außer Hörweite der Männer waren, sagte Edward: »Wie schön, dass ich dich endlich einmal allein treffe, Jane. Manchmal ist es ganz schön lästig, König zu sein.«
»Majestät, Ihr beliebt zu scherzen …«, wandte Jane ein, wurde von Edward jedoch sofort unterbrochen.
»Nenn mich Edward, kleine Jane. Hier hört uns niemand, wir müssen das Hofzeremoniell nicht einhalten. Weißt du noch, wie wir als kleine Kinder gespielt haben? Ist das wirklich erst wenige Jahre her?«
Jane nickte ernsthaft. Obwohl das Herz ihr bis in den Hals hinauf schlug, merkte man ihr die Erregung nicht an.
»Du hast dich immer versteckt … Edward … und ich musste dich suchen. Das war sehr ungerecht, denn im Vergleich zu mir hast du dich in den Palästen ausgekannt. Ich habe mich mehr als einmal hoffnungslos in den Gängen und Fluren verirrt.«
Edward lachte und legte spontan den rechten Arm um Janes Schultern. Obwohl im gleichen Alter, überragte der König Jane um einen Kopf.
»Ich war ja auch der Prinz und durfte nicht verlieren. Ach Jane, wenn wir doch noch einmal Kinder sein könnten. Unbeschwert von allen Lasten, die auf unseren Schultern ruhen.«
»Ich beneide dich nicht, Edward. Du hast ein großes Erbe angetreten«, sagte Jane ernsthaft und ehrlich. »Aber du hast gute Berater an deiner Seite, die für dich und England nur das Beste wollen.«
Ruckartig blieb Edward stehen. Er drehte Jane zu sich herum und sah ihr tief in die Augen. »John Dudley ist das Beste, was dem Land geschehen konnte. Wir dürfen es unter keinen Umständen zulassen, dass der papistische Aberglaube wieder überhand gewinnt. Du bist doch meiner Meinung, nicht wahr, Jane?«
»Du weißt es, Edward, ebenso wie Elizabeth. Aber was ist mit deiner Stiefschwester Lady Mary?«
Er machte eine abwertende Handbewegung. Erschrocken stellte Jane fest, dass sich auf seinen wachsbleichen Wangen kleine, kreisrunde rote Flecken gebildet hatten. Die Unterredung schien ihn sichtlich anzustrengen. Jane bereute, die Rede auf Mary gebracht zu haben, wusste sie doch, wie sehr sich Edward davor fürchtete, dass sie ihm auf den Thron folgen könnte. »Wir sollten in den Palast zurückkehren«, fuhr Jane fort. »Du musst dich ausruhen.«
»Es geht schon … mir ist nur so schrecklich heiß … O Jane, mir wird so schwindelig!«
Edward schwankte und fiel dann wie ein nasser Sack in den Schnee. Jane war zu schwach, ihn zu halten. Die roten Flecken waren verschwunden, stattdessen sah der König aus, als sei jegliches Leben aus ihm gewichen. Jane rüttelte ihn an der Schulter, aber er war bewusstlos. Ratlos sah sie sich um. Zum ersten Mal war sie über den Anblick von John Dudley froh, der seine Männer zwar ins Haus geschickt, selbst jedoch in gebührendem Abstand gewartet hatte. Nun eilte er mit großen Schritten über den Weg, während er laut brüllte: »Bringt eine Trage, aber sofort!«
Er rief es niemandem Bestimmten zu, wusste aber, dass seinem Befehl unverzüglich Folge geleistet werden würde. Gemeinsam mit John Gates, dem Oberbefehlshaber der königlichen Wache, hob er Edward auf die von Dienern gebrachte Trage. Während sie zum Palast liefen, konnte Jane kaum mit den Männern Schritt halten. Sie sah, wie Dudley besorgt Edwards Hand hielt, und konnte ihn flüstern hören: »Noch nicht! Es ist noch zu früh.«
Vor den königlichen Gemächern wurde Jane der Zugang verweigert. Einen Augenblick später eilte John Banister, ein Arzt, der seit Monaten am Hof weilte, an ihr vorbei, und die schwere Tür fiel hinter ihm und Dudley ins Schloss.
Für Jane vergingen bange Stunden, bis ein Mädchen erschien und sie bat, ihr ins
Weitere Kostenlose Bücher