Königin für neun Tage
geworden. Vor Anstrengung keuchend löste sich Jane aus den Armen ihres letzten Tanzpartners und lehnte sich gegen die Wand. Auch der König hatte sich zu einer Pause entschlossen. Waren Janes Wangen vom Tanz gerötet, hatte Edwards Gesichtsfarbe eine ungesunde Blässe angenommen.
»Ich habe in letzter Zeit nur zu viel gearbeitet, Cousine Jane«, zerstreute er Janes Sorgen, als sie ihn fragte, ob er sich nicht wohl fühle.
Suchend schaute sich Jane in der Halle nach Antonia um, bis sie sie ebenfalls unter den Tanzenden entdeckte. Offensichtlich schien sich die Freundin auch zu amüsieren, wenngleich Jane Norman Powderham nicht hatte ausmachen können. Aber vielleicht würde es hier in Greenwich einen Mann geben, der Antonia auf andere Gedanken bringen konnte.
Tatsächlich hatte Antonia mit Bedauern festgestellt, dass sich Norman Powderham nicht unter den Gästen befand. Da konnte sie sich tausendmal sagen, dass es ihr gleichgültig wäre. Ihr Herz sprach eine andere Sprache. Zwei Tische von Lord Dudley entfernt erkannte sie ihren Vater und erschrak sehr über sein krankes Aussehen. Mehr denn je erinnerte Lord Fentons Figur an König Henry in seinen letzten Lebensmonaten. Antonia überlegte gerade, ob sie so tun könnte, als hätte sie ihn nicht bemerkt, doch hatte sein Blick sie bereits erspäht und er winkte ihr zu. Antonia blieb nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater zu gehen und demütig vor ihm zu knicksen.
»Du bist also auch hier«, sagte er ohne ein Wort der Begrüßung. »Nun, es bleibt zu hoffen, dass es hier einen Mann gibt, der dich will. Wie alt bist du eigentlich?«
»Zwanzig, Mylord«, erwiderte Antonia ruhig, obwohl in ihrem Inneren die Abneigung gegen ihren Vater von Augenblick zu Augenblick zunahm.
»Fast schon zu alt, um einen Mann zu bekommen. Du hättest damals heiraten sollen, als ich es dir befahl. Jetzt wirst du wohl eine alte Jungfer werden.«
Die Erwiderung, lieber als Jungfrau zu sterben, als mit einem ungeliebten Mann verheiratet zu sein, lag ihr schon auf der Zunge, doch sie schluckte sie lieber herunter. Ebenso verzichtete sie darauf, ihren Vater daran zu erinnern, wie vermessen und unrealistisch sein Plan, sie mit einem Sohn der Dudleys zu verheiraten, gewesen war.
»Sir Norman Powderham hat Euch nicht an den Hof begleitet?« In dem Moment, als Antonia die Frage gestellt hatte, hätte sie die Worte am liebsten rückgängig gemacht, aber ihr Vater schöpfte keinen Verdacht.
»Du erinnerst dich noch an den Mann, den du an der Nase herumgeführt hast?« Dröhnend lachend schlug er sich auf die dicken Schenkel. »Norman verbringt die Feiertage bei seiner Familie. Vielleicht kommt er Anfang des neuen Jahres nach London.« Gierig griff Thomas Fenton nach seinem Bierkrug. Während er trank, rann ihm das Bier links und rechts an den Mundwinkeln herab. Rülpsend setzte er ab und musterte Antonia aus zusammengekniffenen Augen. »Was willst du noch? Geld? Ich denke, ich zahle den Greys genügend, damit sie sich um dich kümmern.«
»Ich wünsche Euch einen schönen Abend, Mylord«, sagte Antonia bitter und entfernte sich. Nein, mit diesem Mann verband sie nichts, mochte er auch ihr Erzeuger sein – ihr
Vater
war er niemals gewesen und er würde es auch niemals sein.
Das neue Jahr war gerade erst zwei Tage alt, als Jane im Park von Greenwich spazieren ging. Das Land war schneebedeckt, aber blauer Himmel und klirrender Frost machten einen Aufenthalt im Freien angenehm. Antonia, die seit dem Vorabend ein leichtes Kratzen im Hals verspürte, war in ihrem Zimmer geblieben, und Jane genoss es, für einige Zeit allein zu sein. In vier Tagen waren die zwölf Tage dauernden Weihnachtsfeierlichkeiten beendet, dann würden sie wieder nach Bradgate Park zurückkehren.
Als Jane die Gruppe, in dessen Mitte sich der König befand, auf sich zukommen sah, zögerte sie, ob sie einen anderen Weg einschlagen sollte. Sie hatte keine Lust auf ein Gespräch mit dem selbstherrlichen John Dudley, der in seinem weißen Hermelin prachtvoller als Edward selbst gekleidet war. Sicher würde er Jane wieder nach ihren Studien und ihrer religiösen Einstellung fragen, so wie er es die ganze letzte Woche bei jeder sich bietenden Gelegenheit getan hatte. Der junge König trug einen weißgoldenen Mantel mit aufwändigem Pelzbesatz und dicke, weiße Strümpfe.
»Mylady Jane! Wie schön, Euch zu sehen!« Es war zu spät, Edward hatte sie gesehen und winkte ihr lachend zu. Als er näher kam, fiel Jane in einen Knicks und senkte
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