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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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beleidigen.
Antonia hatte die Strafpredigt mit gesenktem Kopf über sich ergehen lassen, keinen Versuch der Rechtfertigung unternommen und am Ende demütig gesagt: »Es wird nicht wieder vorkommen, Mylady.«
Die Aussicht, Chelsea und Jane zu verlassen, erschien Antonia erschreckender als der Moment der Unterwerfung Frances Grey gegenüber. Jane hatte sie danach tröstend in die Arme genommen. Danach hatten sie nicht mehr über Norman Powderham und den Vorfall gesprochen.
    Zum ersten Mal, seit die Greys das Haus bewohnten, kündigte John Dudley seinen Besuch an. Hektisch wurde das ohnehin blitzblanke Haus von oben bis unten geputzt und gewienert, man wollte schließlich einen guten Eindruck auf seinen Gastgeber machen. In der Küche brannte in beiden Öfen ein helles Feuer, denn es wurde ein Festmahl vorbereitet, als würde man den König höchstpersönlich erwarten.
Jane war angewiesen worden, in ihrem Zimmer zu warten, bis man sie rufen würde. Schließlich erschien Frances Grey selbst und befahl ihrer Tochter, sich einmal im Kreis zu drehen. Sie musterte Jane kritisch und gebot ihr, das schlichte blaue Kleid wenigstens mit einem elfenbeinfarbenen Spitzenkragen zu verschönern.
»Und bring dein Haar in Ordnung. Sind deine Fingernägel sauber?« Jane streckte der Mutter ihre makellosen Hände entgegen, die ebenfalls intensiv gemustert wurden. »Wir erwarten dich im Arbeitszimmer!«, befahl Frances Grey.
»Darf Antonia mich begleiten?«, fragte Jane, die plötzlich eine bange Vorahnung überfiel.
»Natürlich nicht! Mylord Dudley ist nicht gekommen, um sich mit niederen Leuten zu umgeben.«
Antonia, die die ganze Zeit auf der Fensterbank gesessen hatte, verletzten diese Worte nicht. Sie kannte ihre Stellung im Haus und war froh, mit Frances Grey so wenig wie möglich zu tun zu haben. Außerdem legte sie wenig Wert auf eine Begegnung mit John Dudley, dem Herzog von Northumberland.
»Was können sie nur von mir wollen?«, flüsterte Jane, als ihre Mutter wieder gegangen war.
Aufmunternd lächelte Antonia ihr zu. »Vielleicht den Ehekontrakt mit dem König aushandeln?«
Janes Herz tat einen Sprung. War es jetzt endlich soweit, dass sie den Fesseln ihres Elternhauses entrinnen konnte und dem Mann, den sie von ganzem Herzen liebte, die Hand reichen durfte?
In gespannter Erwartung ging sie nach unten. Als sie das holzgetäfelte Kabinett betrat, sah sie sich wie bei einem Gerichtsverfahren ihren Eltern und John Dudley gegenüber, die in einer Linie mit dem Rücken zum Fenster auf Stühlen mit hoher Lehne saßen.
Jane knickste. »Mutter … Vater …«
»Jane, du kennst den Herzog von Northumberland?«, dröhnte Frances Greys Stimme durch den kleinen Raum.
»Ja, ich kenne ihn.« Sie knickste ein zweites Mal und sah John Dudley an.
Nun ergriff ihr Vater das Wort. »Jane, wie du weißt, hat der Herzog mehrere herausragende Söhne.«
»Ich hatte bereits das Vergnügen, Ambrose und John kennen zu lernen. Auch habe ich von Sir Robert gehört«, antwortete Jane wahrheitsgemäß. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie gerufen wurde, um mit dem Herzog über seine Söhne zu plaudern.
Nun sprach Dudley zum ersten Mal: »Ein weiterer Sohn heißt Guildford.«
»Guildford? Ein seltener, aber schöner Name«, entfuhr es Jane.
Der Herzog nickte wohlwollend. »Seine Mutter gab ihm den Namen.«
»Ach ja?« Jane bemühte sich, Interesse zu zeigen. Sie wünschte, man würde sie wieder entlassen, damit sie sich weiter einer Übersetzung vom Griechischen ins Lateinische widmen konnte. Offenbar hatte Antonia Unrecht gehabt, und der Herzog stattete den Greys nur einen freundlichen Besuch ab. Jane wollte gerade fragen, ob sie sich wieder zurückziehen dürfte, als ihre Mutter aufstand, auf sie zukam und sie mitten auf die Stirn küsste. Das war eine so ungewöhnliche Geste, dass Jane instinktiv wusste, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Die nächsten Worte machten ihre Verwirrung perfekt.
»Ach, Jane, meine liebe kleine Jane. Wir sind sehr stolz auf dich!«
Wann hatte ihre Mutter sie das letzte Mal
meine liebe kleine Jane
genannt? Wurde sie überhaupt schon jemals so liebevoll von ihr tituliert?
Nun umarmte sie auch noch ihr Vater, während der Herzog im Hintergrund wohlwollend und zufrieden lächelte.
»Mein liebes Kind, ich wusste, dass du unserer Familie zu Ruhm und Ehre verhelfen wirst.«
Plötzlich, als wäre ein Schleier von ihren Augen gerissen worden, erkannte Jane den Hintergrund dieses seltsamen Verhaltens. Ihr Blick wanderte

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