Königsallee: Roman (German Edition)
möchte nicht der Sultan sein!
Komm, Liebchen, gib mir einen Kuß,
Denn jetzt bin ich der Sultanus.
Nun aber schenk mir hurtig ein,
Damit ich wieder Papst kann sein.»
Nun ja, mitunter ging es auch ohne vernehmlichen Applaus. «Ich bin Deutschland. So, so – dann ermanne dich abermals.» Er erhob sich im Grunde anstrengungslos, stand aufrecht, dachte ans Zahngeschirr und an den neuen, als praktisch gepriesenen elektrischen Rasierer zwischen den Fahrtunabdingbarkeiten – StarFlex von Remington, dessen Scherköpfe Kundige wahrscheinlich auf Anhieb in Rotation zu versetzen vermochten – und schloß die Tür zum Badezimmer hinter sich.
Vorbereitungen
Die Sonne des 26. Augusts strahlte nach Kräften. Die Schwüle des Vortags hatte sich verflüchtigt. Durch einen kurzen nächtlichen Gewitterguß war Staub von den Gehsteigen gewaschen. Das Grün der Parks und Gärten hatte sich gekräftigt. Die Platanenblätter der Rheinpromende glänzten wie poliert. Die noch feuchten Flaggen um das Dach des Breidenbacher Hofs entfalteten den Stadtlöwen mit seinem Anker und ein etwas willkürliches Ensemble von Nationalfarben nach jedem Windzug üppiger. Italiens Grün-Weiß-Rot wellte sich zwischen Frankreich und Luxemburg, das Sternenbanner trocknete neben Schweden, ausgerechnet der Union Jack der Besatzer hatte sich um den Mast verwickelt, das nahe Holland war stets zugegen. Persien und Afghanistan hatten mit als erste Staaten die neue Republik anerkannt. Und gegen die nicht verbrannte Fahne des Königreichs Rumänien, die kaum verblaßt mit ihrem Wappen eine Gebäudeecke schmückte, hatte noch niemand etwas eingewandt. Wanderer oder Delegationen aus dem unter Kremlverschluß geratenen Land waren bisher nicht zu sichten gewesen. Hammer und Sichel irgendwo am First hätten vielleicht den Appetit verdorben.
Zeitungsausträger kehrten nach frühen Märschen durch die Stadt in ihre Verteildepots zurück. Die Straßenbahnen fuhren wieder leerer, nachdem sie Nachtschichten heim- und Angestellte in die Büros gebracht hatten. Ein Eisverkäufer stellte sein Schild mit einer Waffeltüte und bunten Kugeln auf. Kleiderpuppen wurden neu ausstaffiert. Die Schwäne auf dem Kanal der Königsallee schienen nach ersten Spaziergängern und deren Brotresten zu spähen, ein geparktes Sportcoupé weckte in der Immermannstraße die Neugierde. Rote Sitze und ein Aral-Atlas: Innerschweiz .
Die Fenster vieler Klassenzimmer waren halb geöffnet. Für Hitzefrei reichte die Temperatur knapp nicht aus. Da und dort in Ämtern wagten einige, die Schlipse zu lockern. Das Pferd vorm Milchwagen trottete bedächtig. Sein Kutscher schwenkte die Glocke.
Doch nicht überall verlief die frühe Stunde friedvoll.
Die Sorgen waren nicht zu übersehen. Ausgerechnet an einem Tag wie diesem fiel die Besenfeldt aus und ließ sich verarzten. Doch welcher Tag überhaupt glich ruhigem Wassertreten in Bad Wörishofen? Nicht einer. Hoffentlich hatte wenigstens der Nobelpreisträger ungestört geruht und seine Stimme wiedergefunden. Menschen im Hotel, eine schöne Bescherung. – Clemens Merck, Direktor des Hofs seit der Neueröffnung, trat aus seinem Büro abermals ins verwaiste Vorzimmer. Die Sekretärin, sonst ein Fels in der Brandung, war tatsächlich verunglückt, wie es ein Botenbursche aus ihrer Nachbarschaft ausgerichtet hatte. Auf dem Heimweg war sie mit dem Fahrrad in ein Tramgleis gerutscht – eine vermutlich nicht seltene Falle – und mit der Schulter gottlob nur auf ihre Handtasche gestürzt, die ihr vom Lenker vorausgesegelt war.
Doch wie sollte er ohne die Kriegerwitwe und ihre perfekte Terminführung wissen, wann die Herren von den Närrischen Wehrhähnen kämen, um ihre Prunksitzung zu besprechen? Am Vormittag, ja. Aber die Uhrzeit?
Der Direktor fingerte durch die Aktenablage auf dem Besenfeldtschen Schreibtisch, zog Schubladen auf, entdeckte aber keine Kalenderpappe oder besser noch das schwarze Büchlein mit sogar verschiedenfarbigen Einträgen, je nach Dringlichkeit. Wahrscheinlich war es besonders zugriffsicher verräumt. Oder sie hatte es in der Tasche gehabt und würde es beim ersten Gedanken daran sofort bringen lassen. Das war eine Hoffnung. Irgendwann nachmittags hatte er den Termin im Künstlerhaus. Höchst wichtig wegen des Galadiners. Um halb drei? Um vier?
Der Sechsundfünfzigjährige im dunklen Anzug kramte im Rolladenschrank. Ordner und ein Stapel abgegessener Menükarten. Ein bißchen fremd blieb ihm die Stütze mit den Blusenschleifen
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