Königsallee: Roman (German Edition)
Wohlbefinden bei. Die Ehe war gefroren. In einem protestantischen Umfeld wäre gewiß längst die Scheidung eingereicht worden; hier wurde sittsam weitergelitten. Immerhin besaß Lotte als frühere Funkhelferin einen Führerschein. Irgendwo bei Kiew hatte sie den Blitzmädellappen gemacht. Damit käme sie wahrscheinlich auch prompt aus Kreuztal retour. Sie war so krude. – Essen! In drei Minuten. – Ein Trampel eigentlich, ein germanischer. Die Kinder gerieten nach ihr. Stumpfe Blicke, selbst wenn man es sich schönreden wollte. In der Verlobungszeit hatte Lotte noch das blonde Haar geschüttelt. Mit der warmherzig strahlenden Afrikanerin wäre ein Leben wahrscheinlich gemütvoller verlaufen. Hauptsache, sie stürzte nicht vom Gesims ab. Aber die Bevölkerung in Rhodesien lebte größtenteils wohl ebenerdig.
Dichter hatten es gut. Die Bohemiens konnten auf jeder Lesereise flirten. Falls sie jung genug waren und den Anhang nicht im Schlepptau führten. Da hatte es mal einen gegeben … Natürlich, der Heesters! Das weibliche Etagenpersonal hatte gegen männliches ausgetauscht werden müssen. Aber der Revuesänger war kein Dichter.
Kurz nach dem Krieg waren alle besonders lebensgierig und unberechenbar gewesen. Jetzt ging es bereits wieder gesetzter, anspruchsvoller und mäkeliger zu. – Was, kein Pool? Wie soll ich denn frisch werden? Schlimm. Die Menschen wurden im Frieden oft unausstehlicher, undankbarer, mißgünstiger als im Krieg, wenn sie Deckung suchten … bisweilen in jedem Sinne, um die Lebensfrist auszukosten. Heute mußte Tabasco dazukommen, die neue Würze für Ei Benedikt. Kaffee mit Milchschaum wurde zunehmend gewünscht. Hurra, ein Blödsinn, wenn’s um Koffeingenuß ging.
Mit einem Ächzen griff Clemens Merck zum Hörer und drückte den weißen Knopf, unter dem Lv 22 vermerkt war. In der Lagerverwaltung meldete sich der Richtige. «Sind die Stühle schon ins Künstlerhaus gebracht? Nein, sie haben dort nicht genug. Kommen Sie für alles am besten noch mal rauf.»
Er hängte ein.
Die Schultern hingen gleichfalls.
Das Allerärgste blieb noch zu Ende zu bringen. Der furchtbarste Frevel, den ein gastronomisches Geschöpf begehen konnte. Niemals durfte dies in der Branche ruchbar werden.
Merck lehnte sich zurück und fixierte die Deckenpaneele. Ein Gast mußte verjagt werden, ein weiß Gott namhafter, ein liquider. Nicht nur der wachsame Siemer hatte auf die Mißlichkeit hingewiesen. Sogar die einflußreiche Stadtbaurätin, eine Bewunderin des Dichters, hatte nach dem Empfang vor einer möglichen Konfrontation und donnerndem Skandal gewarnt. Ein Stammgast, ehemaliger Oberbefehlshaber der Wehrmacht Süd, Frontflugspangen-Inhaber, goldener Ritterkreuzträger mit Brillanten – man nahm fast unwillkürlich Haltung an –, Generalfeldmarschall Kesselring mußte aus dem Haus! Und zwar besser gestern als jetzt. Der begeisterte Vollstrecker jedes Führerwinks, der denkbarerweise auch in Zukunft noch Städte ausradieren und Geiseln erschießen lassen würde, wohl nicht nur denkbarerweise – mußte dezent, aber entschieden auf die Straße gesetzt werden. Warum blieb er nicht in Bad Wiessee oder zog, wie ehedem und öfters, in die Villa Hügel oder ins Gästehaus der Thyssens? Übten die Konzernleitungen sich neuerdings in Distanz? Aber man befand sich auf gutem Wege. Bereits die Einquartierung im Rückgebäude über dem Mopedparkplatz hatte zu einem richtiggehenden Tobsuchtsanfall des neuen Stahlhelmchefs geführt.
Siemer hatte es prächtig verstanden, ihm von unvorhersehbarer Überbuchung und Renovierungsarbeiten vorzuschwafeln. Auf das Klingeln Kesselrings reagierte nach eiserner Absprache niemand. Rief er unten an, hieß es: Moment, Herr Major, es ist gerade viel zu tun. Abends in der Delfter Stube, an der man den Dichter, der im übrigen auch gar nicht in diese Bar wollte, vorbeigeschleust hatte, war der Generalfeldmarschall nur noch schäumende Wut gewesen. «Beruhigen Sie sich doch mit einem stillen Wasser, Herr Leutnant», hatte der Keeper, plötzlich selbst eine entscheidende Person und mundfertiger Berliner, dem Führungsoffizier empfohlen. Der hatte fassungslos gestiert, etwas unsinnig von «Besatzerdreck» gesprochen, war aufgestanden, und der Service hatte dem vermaledeiten Oberbefehlshaber den Stuhl weggezogen: «Gute Idee, mein Herr, der Tag war lang, und wir wollen heute zeitig schließen.»
«Man will mich hier wohl nicht!»
«Wie’s beliebt, mein Herr.»
«Ist das deutsche
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