Königsallee: Roman (German Edition)
die Stadt, bei dem Erika in den Confiserien Pralinen für einen vorgeblichen Präsentkorb durchprobiert hatte, um den Verkäuferinnen dann mitzuteilen, daß sie doch lieber einen Korb mit Schinken und Wurst beim Metzger bestellen wolle, waren sie entlang der Isar nach Bogenhausen zurückgeschlendert. Bruder Klaus und der junge Hallgarten hatten gebadet. Erika hatte mit einem herumliegenden Zweig Mondfähren, fliegende Kirschbäume auf Hochzeitsreise oder etwas ähnlich Phantastisches in den Sand gezeichnet. Als ein Passant mit seinem Rauhaardackel vorbeikam, war sie vom Baumstumpf aufgesprungen, hatte die Hände neben ihr Gesicht gehalten und entsetzt ausgerufen: «O Gott, mein Herr, sie müssen zum Tierarzt. Ihr Dackel ist zu kurz. Die Zunge hängt raus!» Einen Moment lang hatte der Herr betroffen auf seinen Vierbeiner geblickt, ehe er mit seinem Stock gedroht hatte: «Gelichter. Nichtsnutzige Jugend. Man sollte über Ihr Treiben endlich mal Ihre Eltern ins Bild setzen.» «Tun Sie’s, es wird eine hübsche Geschichte daraus.» «Frechheit.»
«Kommt vor dem Fall», hatte Erika dem Pensionär hinterdrein geflötet. Sie waren dann zu Tee und Tennis aufgebrochen. – Seither konnte Klaus keinen Hund mehr sehen, ohne zu denken, daß er zu kurz war.
Es war ein intensives Treiben gewesen, aber nicht lang. Die Geschwister unternahmen schon große Reisen.
Anwar schien es gutzugehen.
Der junge Indonesier stand am Teich des Düsseldorfer Hofgartens und fütterte Enten. Dermaßen jung war Anwar mit vermutlich fünfunddreißig Jahren allerdings auch nicht mehr. Rund um die Uhr wirkte er wie maßgekleidet, und angesichts seines kräftigen schwarzen Haars brauchte er dessen baldiges Ausdünnen nicht zu fürchten. Die Gamaschen über den Lackschuhen stachen eigentlich erst seit der Landung in Frankfurt ins Auge. In Padang, Julianabad auf Sumatra, später in Shanghai hatte die Umhüllung von Socken und Beinhaar beim Sitzen nur formbewußt gewirkt. Die Enten schienen Krumen aus ostasiatischer Hand zu mögen. Eine wachsende Flottille paddelte und schnappte vor dem Sohn des Hochregenwalds. Sein Geburtsjahr wußte der eigensinnige Mensch selbst nicht exakt zu beziffern. – Seinerzeit, als es den Anschein gehabt hatte, daß Java, Borneo, Sumatra, der gesamte Inselkontinent auf alle Zeit von Den Haag aus durch den Gouverneur-Generaal in Batavia regiert würde, hatten Anwars Eltern ihren überzähligen Sproß aus den Bergen hinunter an die Küste gebracht. Gegen ein paar Gulden war das Knäblein als Hilfe für alles und jedes von der Kaufmannsfamilie Bouwman in Kost und Logis genommen worden. Bei den Niederländern hatte Anwar Rasenkanten gestochen, Eier vom Markt geholt und vor den gestrengen Hausandachten der Kolonialfamilie die Bohlen und das Betpult poliert. Zum Lohn hatte Mevrouw Bouwman, und zwar aus freudiger innerer Pflicht heraus, dem Boy das Lesen und Schreiben beigebracht und die Abfolge der Monarchen im fernen Mutterland erläutert: Willem I. bis III., Königin Emma mit der Nickelbrille, Wilhelmina, die großmütige Beschirmerin des Handels und der Wohlfahrt, welcher die Prinzessin Juliana auf dem Thron der Oranier folgen würde. Auf gerahmten Porträts, die einen Ehrenplatz in der südostindischen Stube einnahmen, hatte der Inselknirps die Majestäten mit Krone und Löwenorden bestaunt. Sie leiten mit Bedacht auch deinen Weg , hatte Mevrouw Bouwman betont. Das war für den Jungen aus dem Bergdorf schwer vorstellbar, daran hatte er zu glauben. Unter der bedachten Ägide Königin Wilhelminas brachten jedenfalls die Plantagenarbeiter Sumatras in Kolonnen von Ochsenkarren Tabakballen, Kaffeesäcke und Fässer mit Palmöl zur Bahnstation von Padang. Bauxit und Gold wurden von europäischen Fahrern über neue Straßen direkt zur Schiffsverladestelle tranportiert. Vor Beginn der Regenzeit hatte Anwar mit den Bouwmans in die Erste-Klasse-Waggons der Küstenbahn einsteigen dürfen. Im tollen Tempo, schneller als ein preschender Büffel, im Dampf der Lokomotive zwischen Dschungel und Ozean hatten sie nach nur dreieinhalb Stunden Emmabad erreicht. Im Kurort hatte Anwar neben einem Schwimmbad – denn die Niederländer badeten lieber auf dem Land als in der Brandung – die Picknickdecke ausgebreitet und wie alle die kühlende Meeresbrise genossen. Er hatte Melone und Käse bekommen. Das Tuchgewand hatte er zu dieser Zeit längst gegen knielange Hosen vertauscht und mußte drückende Schuhe tragen. Auch im luftigen Emmabad
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