Königsallee: Roman (German Edition)
hatten, um in der Nähe ein Hotel zu finden, war quasi kaum Stadt zu erkennen gewesen. Friedrich-Ebert-Straße weg. Karlstraße verschwunden. Bretterzäune, Bagger, ziemlich freier Durchblick in Richtung Altstadt und keine ansprechende Pension. Anwar hatte die Wüstenei für lockere Bebauung gehalten, die verdichtet wurde.
«Breidenbacher Hof», sagte Klaus, «dort haben wir früher Karneval gefeiert. Die exquisitesten Bälle. Ab Mitternacht auch die wildesten.»
Anwar zuckte die Achseln. Neben seiner Muttersprache, fließend Holländisch und dem Shanghaidialekt mit seinen vertrackten Anlauten war ihm nicht jedes deutsche Wort geläufig.
«Der könnte noch stehen. Warum nicht das Beste für uns?»
Anwar nickte. Er besaß den Überblick über die Einkünfte eines Import-, Exportkaufmanns in Dollar, Pfund und vielleicht auch schon in Mark.
Die Blicke, welche die beiden Herren mit Schal, Gamaschen und Koffern streiften oder musterten, wirkten meistens schmeichelhaft, besonders seitens der Düsseldorferinnen. Einige wandten sich in ihren Sandalen sogar um, andere schienen sich zu erinnern, daß es die weite Welt und deren Bewohner gab. Nur eine greise Dame, die trotz des Sonnenscheins über ihrem abgeschabten Kostüm einen Fuchspelzkragen trug, fixierte die Exoten grimmig. Doch vielleicht war solcher Blick zum Naturell einer verwitweten Justizrätin geworden, die Schlimmes durchgemacht hatte.
Die Herren bogen in die Schadowstraße ein.
Männer an Krücken. Blinde mit Taststock. Putzfrauen auf Fußschemeln vor Schaufenstern. Eine Verschnaufende wischte sich Schweiß von der Stirn und zündete sich neben dem Eimer eine Zigarette an. Schon ließ sich ein älterer Passant vernehmen: «Auf offener Straße. Eine Schande.» Sie nahm noch ein paar Züge und trat die Zigarette aus.
Die fremde Umgebung bot Anwar doch einiges zum Verwundern. Papierkörbe, die an Laternen montiert waren, hatte er noch nicht gesehen. Torten einer Konditorei kamen ihm wie bunte Wagenräder vor, und überall Weiße, auf Leitern an Fassaden, mit Kuchengabeln um Tische, auf Fahrrädern vor den Streifen eines Fußgängerübergangs. Vor den Auslagen des Geschäfts Elektro-Bunke verharrte er. Die Vielzahl unterschiedlicher Radioapparate war enorm. Dazwischen prangten auf stabilen Beinen auch zwei Fernsehgeräte. Schade, daß sie nicht angeschaltet waren, oder wurde tagsüber kein Programm ausgestrahlt? Man mußte Physiker sein, um zu wissen, wie ein Bild durch die Leitung gelangte. Mit elegantem Schwung hakte Anwar sich mit dem freien Arm bei Klaus unter. «Nicht hier. Man wird verhaftet. Sie haben noch die Nazi-Gesetze.»
«Wieso? Die SS war doch omoseschuell.» Man mußte sich nicht wundern, daß aus einem dunklen Gesicht eine dunkle Stimme erklang. Schlimm, daß der erste Kommentar eines Indonesiers an diesem Vormittag den Tätern galt.
«Wenn, dann verklemmt. Wer hat dir das eingeredet? Mister Henry?»
«Deutsche Männer gerne zusammen. Deshalb viele Kasernen. Und Wandern im Wald.»
«Vergiß die Weisheiten eines Barkeepers, der nicht über den Jangtse kam.» Klaus machte sich los. Anwar wirkte beleidigt. Aber nicht sehr. Die Aussprache seines X konnte für hiesige Zwecke noch geschärft werden, und auch das H überging er gern. Klaus war froh, daß er nicht Hans oder Xaver hieß.
Die Gamaschen erregten viel Aufsehen. Die Schals um so weniger. Klaus blickte begierig geradeaus. Mächtige Baumkronen. Hinter den locker gereihten Platanen stand der Breidenbacher Hof noch. An einer Mokkabar vorbei erreichten sie den Stolz der Stadt. Klaus Heuser stellte den Koffer ab und breitete die Arme aus: «Voilà. Die Königsallee!»
Der Tritonenbrunnen blies sein Wasser in den Stadtgraben. Die Brücken mit Gußeisengeländer spannten sich über den Kanal. Auf den breiten Gehsteigen flanierten die jetzigen Reichen und Müßiggänger, betraten Juwelierläden, lasen auf den Bänken Zeitung, ließen sich unter Sonnenschirmen Cinzano schmecken. Augenscheinlich war viel wieder hergerichtet worden. Ausgebrannte Fassaden, aus deren Fensterhöhlen Gestrüpp wucherte, waren leidlich von Laub verdeckt. Blanke neue Gebäude wie am Jan-Wellem-Platz wiederholten sich. Das imposante Eckhaus der Rheinischen Post wirkte unversehrt. Anwar spähte nach links und rechts. Auch er schien beeindruckt von der schnurgeraden Promenadenmeile, auf deren Böschungen junge Leute im Gras das abgeschattete Mittagslicht genossen. Hier zu bummeln, die Fremde zu studieren, war
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