Königsallee: Roman (German Edition)
verschwand. Als herrliches Mitbringsel für die Mutter sollte Anwar einen Ballen roter Rohseide besorgen, für ein Abendkleid. Beim Auspacken hatte Mira über kostbaren blauen Stoff gejubelt, der natürlich weit besser zu einer älteren Professorengattin paßte. Anwars Mine hatte keinerlei Reue bekundet, sondern eher diesen stillen Triumph, den Klaus zur Genüge kannte. Wer hätte gedacht, daß er einem ehemaligen Bediensteten des Hotels Centraal, der gleich manchen Botengang für ihn erledigt und bald allmorgendlich sorgsam die Mosquitonetze überprüft hatte, jemals eine Bankvollmacht ausstellen würde? Nun regelte Anwar das meiste Finanzielle und hatte auch die Flüge gebucht. Schon von Anfang an hatte Klaus diesem Berglandgeschöpf sogar ein bißchen furchtsam vertraut. Über die Maßen durfte man einen Menschen vielleicht nie reizen und erbosen, in dessen Heimat sich der Amoklauf herausgebildet hatte. Dergleichen konnte tief im Gemüt nisten. Mit ausblutenden Hühnern und verkochten Reptilienschwänzen war das Kleinkind herangewachsen.
«Schauen wir weiter.»
Der Gefährte ergriff beide Koffer, die neben der Parkbank standen. Sicherheitshalber nahm Klaus ihm einen ab. Trotz der Holländischen Woche und dem gelichteten Angebot fände sich eine geeignete Unterkunft. Auch Anwar war einverstanden, zum Tumult im elterlichen Haus behutsam auf Distanz zu gehen. Zuerst hatte Mira natürlich lautstark protestiert: Kaum angekommen, wollt ihr schon wieder ausziehen . – Es ist eng, Mama, und mit dem Zug können wir nachmittags schnell zu euch kommen . – Wir haben uns so viel zu erzählen. – Eben, da braucht man zwischendurch ein wenig Ruhe. – Ich nicht. – Und von Düsseldorf aus kann ich Anwar besser die Umgebung zeigen. Papa kann ungestörter malen. – Muß er nicht, wenn du da bist. – Das sagst du.
Vor längeren Debatten über das Bleiben im Dachzimmer oder in der Stadt war Gott sei Dank Vaters Künstlerkollege Campendonk auf Stippvisite vorbeigekommen und hatte dem drohenden Streit unversehens eine andere Wendung gegeben: Meine Münsterfenster in Essen sind bald fertig. Wollt ihr sie sehen? – Das paßt sich, Heinrich. Die Jungs wollen in die Stadt. Wie sind denn die Blautöne beim heiligen Michael herausgekommen? – Die Glashütte hat erstklassig gearbeitet. Ein kühles, eindringliches Licht jetzt im Chor. – O ja, das schauen wir uns an , hatte sich auch Mira begeistert.
Klaus und Anwar machten sich auf. Einen Schlüssel für die Meerbuscher Haustür verwahrte der Sohn. Die elterlichen Stimmen verhallten. In Mänteln und mit Gepäck erreichten sie den hochsommerlichen Jan-Wellem-Platz. Klaus Heuser erkannte nichts wieder. Der ehedem prächtig umbaute Verkehrsknotenpunkt war eine Baugrube. Vom Klein-Paris am Rhein keine Spur mehr. Die Straßenbahn zog an Brachflächen, einstöckigen Buden und hellen glatten Neubauten vorbei. Die sollten mit schmucklosen Fensterreihen und Flachdächern wahrscheinlich amerikanische Architektur imitieren. Klaus fröstelte jetzt nicht allein wegen der verhältnismäßig kühlen Temperatur. Hier war er in jungen Jahren zwischen gepflegten Blumenrondellen auf dem Weg zur Handelsschule oft umgestiegen. Keine Säulenportale, Gesimse, Titanen, die Balkone stützten, waren mehr zu erblicken. Verschwunden die Pension Sortirer mit den dreistöckigen Erkern, Lederwaren-Armbroster, das Palais der Trinkausbank. Dafür schien es nun mehr Imbisse mit Würstchen zu geben. Die Autos waren bunter geworden. Neben dröhnenden Lastwagen hielt ein bizarres Töfftöff, dessen Vorderfront die Tür war, aus der sich ein korpulenter Mann zwängte. Isetta hieß das Döschen. Auch die Passanten hatten sich verändert. Sie wirkten eiliger. Sichtlich preiswerte Anzugstoffe, Frauen ohne Seidenstrümpfe, aber in weit schwingenden Röcken, deren Farben und Muster womöglich noch das Kriegsgrau verdrängen sollten. Ein paar hübsche Gesichter. Wie ehedem. Sehr hagere Burschen und wanstige Männer mit zurückgeschobenem Hut. Die Macher des Ganzen. Und natürlich keine erkennbaren Hausmädchen mit hochrädrigen Kinderwagen auf der Plattenpflasterung. Edel, gediegen oder gewachsen wirkte der Jan-Wellem-Platz nicht länger, eher wie eine improvisierte Verladerampe. Klaus Heuser nahm auf einer verbliebenen Wand eine verrußte Sinalco-Reklame wahr. Beim Anblick der sprudelnden Limonade hatte er als Schüler sofort Durst bekommen.
Anwar fiel nichts maßlos Verwirrendes auf. Als sie den Hauptbahnhof verlassen
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