Königsallee: Roman (German Edition)
der Welt, die ineinander verschmelzende Zweisamkeit. Klaus käme ihm nach menschlichem Ermessen nicht mehr abhanden. Auch schade, daß diese Spannung, die einen selbst alarmiert hielt, verging. Zumindest würde er Anwar Batak Sumayputra, der aus seinen Schläfen auch helles Haar zu zupfen begann, niemals mehr aus seinem Leben tilgen können. Warum auch? Selbst wenn sie gelegentlich verkracht waren, fast immer aus geringfügigen Anlässen, zum Beispiel wenn Klaus Bartstoppeln nicht gründlich aus dem Waschbecken spülte, wußten sie doch, daß sie sowohl ein geprüftes wie auch noch weiterhin bewegtes Paar waren. Herrschte volles Vertrauen zwischen ihnen? Sie überprüften es nicht mehr. Sie vertrauten, mitunter von der Wachsamkeit ermüdet, dem Vertrauen. – Trotzdem blieb eine zumindest passive Obacht geboten. Sie lebten nicht isoliert. Die Gemüter waren nicht tot. Eine andere und frische Liebe, die sich aus irgendeiner Begegnung, Blicken, Worten entwickeln konnte, der Wunsch, noch einmal mit feurigen Gefühlen neu zu sein, drohte stets. Man durfte um Himmels willen den anderen nicht zum Utensil und Abfallhaufen verkommen lassen. Er könnte sich schlagartig rächen.
Alles, das Dasein zu zweit, zwischen vielen ein schwieriges Unterfangen. Charme und Haltung, Stoßkraft und Vorsicht mußten sich ergänzen. Anwar trank vom Niersteiner. Insbesondere dieser Lifboy «Armand» war in diesem Gebäude zu fürchten. Smarter konnte niemand sein, eine Gazelle; wie er mit «Bitte, meine Dame», «Bitte sehr, mein Herr» das Aufzuggitter öffnete, klang schon wie ein Antrag, fürs Selbstverständliche Trinkgeld zu zücken, sich nach ihm selbst zu erkundigen, woher er stamme, was er in seinem Leben anstrebe, und sich mit Armand unter vier Augen zu unterhalten. Dieser Liftboy strahlte beim flüchtigsten Zusammentreffen eine Glücksbefähigung, ein Charisma aus, das die Fahrkabine sprengte. Man mochte gerne seine Stimme hören, wollte ihm gern einen Rat erteilen, ihn irgendwo berühren, und sei’s nur an der Uniformmanschette. «Der Herr sind von weit her», hatte er während der Fahrt hinab zu Anwar angemerkt, «willkommen am Rhein. Das Personal des Hauses, zu dem auch ich mich seit neuestem und wenn auch in minderer Stellung zählen darf, möchte Ihnen stets zu Diensten sein. Wenn Sie Genaueres über Düsseldorf, diese Perle wiewohl nicht in den Fluten, sondern trocken auf den Ufern, erfahren wollen, so habe ich mich bestens kundig gemacht und könnte mit Hinweisen aufwarten. Doch entschuldigen Sie, mein Herr, diese Zudringlichkeit, die keinen Moment als solche gemeint ist. Man will nur hilfreich sein, und gerade in jungen Jahren steht einem diese Übung gut an. Die Baronin Wollstätt war mit meinen Auskünften sehr zufrieden. Ja, ich darf anmerken, daß sie mich ihrerseits mit Offenherzigkeiten, die sie wohl lange belasteten, nicht nur über ihre Schneiderin, vielmehr auch zu familiären Verhältnissen, seelisch reich belohnte. Sie ist abgereist, und so darf ich wohl sagen, daß ihr Herr Gemahl als Schraubengrossist einer Gattin, wie sie es ist, empfindungsmäßig kaum gerecht werden kann. Die Baronin schreibt Gedichte – aber das ist eine andere Geschichte. Ich selbst stamme ja auch aus einem zwischenzeitlich niedergegangenen Hause – doch da hätten wir abermals eine nächste Geschichte. Man schlägt sich durch, und schon sind wir im Erdgeschoß. Ich hoffe, ich habe noch mehrmals das Vergnügen, Sie sicher und guten Muts durch die Etagen dieses, wie soll ich sagen, ertragreichen Welttheaters zu fahren. Oder fragen Sie einfach nach Armand; einen Fremdenführer, der besser die Wirkungsstätten des Kurfürsten Jan Wellem und die Subtilitäten des hiesigen Karnevals kennt, finden Sie vermutlich nicht. Einen guten Abend!»
Eine Schlange, soweit Anwar den ausgefeilten Ton verstanden hatte, mit blendendweißer Zahnreihe und eigentlich nicht vorlaut, denn Anwar hatte nach dem Schließen der Fahrstuhlgitter im fünften Stock durchaus als erster geäußert: «Liftboy. Ich kenne Beruf. Jahre vorbei.»
Zu engagierten jungen Leuten wie Armand mußte man sich entgegenkommend verhalten. Klaus war auch mit ihm gefahren. Er ließ ein Ehepaar zusteigen, widmete sich ganz dessen sperrigem Gepäck und ließ wie absichtlich zwischendurch keinen Blick in die Halle schweifen, wiewohl man sich doch eben gerade unterhalten hatte. Er schloß die bronzierten Gitter.
«Die Nase», sagte Klaus, «trieft wieder. Ich glaube, das Ohr geht zu. Ich
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