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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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werde die Melodie von Der Butzemann steht vor dem Tor nicht mehr los. Man sollte die geistigen Bereiche und ihre Vertreter meiden. Es kommt nichts Gutes dabei heraus. Ich muß noch ein Taschentuch holen. Der Junge fährt ganz ausgezeichnet. Er stammt aus einer vornehmen Familie und träumt von Lissabon. Lissabon sei schon das Tor zu beiden Amerikas und dennoch delikates Abendland.»
    «Aha», merkte Anwar an.
    «Sehr redegewandt. Ich selbst kenne in Portugal nur die Auerhahns, falls sie noch leben, Freunde meiner Eltern, er ein versponnener Meeresbiologe. Hat mir als Kind die Herkunft allen Lebens aus dem Wasser erklärt, was mich aber nicht erschrecken sollte: Es herrsche eine tiefe Ursympathie zwischen allem, was ist, das heißt, was alsbald wieder Nichts wird, und unser wässeriger Zustand im interstellaren Raum, so verfließend diese Gestalt auch ist, wäre dennoch geheiligt-königlich, da wir Lust und Weh empfinden und beides mit unerschöpflichen Zwischentönen bekunden können. Alles Lebendige sollten wir freundlich begrüßen, denn es ist uns verwandt, Dromedar und Qualle, und eine Seinsfreude sollte das Gebot für unsere befristete menschliche Verdichtung aus Wasser und Mineral sein. Ja, die Sterne würden uns unsere Regungen neiden, das sehnsüchtige Auge, das glänzt, der schlanke Arm, der einen umfängt … Auf so etwas bringt einen diese Schnattergans im Fahrstuhl. Ein bißchen sah der Doktor aus wie Paul Dahlke. Schwer, schnaufig. Aber den Schauspieler kennst du nicht.»
    Klaus nieste. «Ich muß noch mal aufs Zimmer.»
    Anwar reichte ihm das eigene akkurat gefaltete Schnupftuch. Klaus griff es ein wenig unwillig und blickte sich zum Aufzug um, in dem sechs Beine, davon zwei in Uniformhose mit Goldlitzen, nach oben entschwanden.
    «Was trinkst du?»
    «Von Niestein.»
    «So. Schon fast heimisch geworden.» Klaus nahm im Stehen einen Schluck. «Die Auerhahns leben vielleicht nicht mehr. Mein Vater hat damals das Töchterchen porträtiert, ein ziemlich freches Ding, das unbedingt einmal einen Marquis heiraten wollte. Muß sie aus einem Roman gehabt haben.»
    «Marquis?»
    «Französischer Graf. Unterhäuptling.»
    «Ich wissen, was Graf sein kann.»
    Klaus entschuldigte sich für seine Veranschaulichung. «Frau Erika», hörte er, «will Hotel für uns suchen. Reicht nicht, daß wir woanders frühstücken. Und sie hat Besuch bekommen, den sie nicht will.»
    «Bertram?»
    «Nein, noch einer. Vielleicht wollen alle zu Vater und ihn kaputtmachen.»
    «Thomas Manns Werk bleibt. Und das ist mir jetzt alles egal. Ich laß mich nicht aus den Herbergen meiner Heimatstadt jagen. Mal sehen, ob sie eine bessere findet. Und ich habe Hunger, beim Kauen wird auch das Ohr manchmal wieder frei. Ja, so primitiv ist es oft. Es macht plopp, und ich höre wieder besser. Und im übrigen, Anwar, ich bin mir sicher, das fühle ich, alles andere wäre widernatürlich und steinkalt: Thomas Mann würde mich gerne wiedersehen. Ich ihn auch. Er mag gebrechlich und erkältet sein. Aber er ist kein Zittergreis. Sein Elend hat er in seinen Büchern verstaut, er selbst ist stark, denn er hat sie alle geschrieben, ist um die halbe Welt geweht worden. Die Festung hat gewackelt, aber die Türme stehen noch. Auf Sylt wurden seine Schrankkoffer in die erste Etage geschleppt, hier, fast ein Menschenleben später und viele Weltwendungen weiter, noch immer. Und du meinst, er würde mir nicht gerne die Hand reichen, mich kurz an sich drücken wollen? Wir waren doch beide im interstellaren Raum beglückt und ein bißchen sinnlos erregt aufeinander zugekommen. Er hat ein Herz, ein ängstliches, und gerne möchte ich seine Hand, zum Dank, daß er mich mochte, fassen. Viel Zeit bleibt vielleicht nicht mehr.»
    «Deine große Begegnung.»
    «Komm, ich habe Hunger. Er ist unter diesem Dach, jetzt, was tut er wohl? Dichten? Inhalieren? Sich erinnern? Still ins Zukünftige blicken? Neben Frau Katia am Frisiertisch sitzen? Ich glaube, heute hat einer seiner Gedanken mich gestreift. Es kann bei solcher Nähe nicht anders sein. So, ich bin der Joseph in seinem Buch geworden … Oder immerhin zum Teil. Hat sie doch gesagt. Er liebt mich. Ich kann ihm nicht ausweichen.» Klaus brauchte Anwars Taschentuch für eine Schnupfträne. «Ich bin unsterblich. Die Welt liest mich. Jetzt verquellen auch noch die Augen, so ein Blödsinn.»
    «Wir schauen», beruhigte Anwar.
    «Wir hätten nicht reisen sollen. Oder nach London.»
    «Zeig mir Huhnfrikassee. Will

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