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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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dachte er kurz, Glück auf. Er wich aus, eine völlig verfehlte Flanke hätte ihn sonst an der Kehle getroffen. «’tschuldigung, fang’ grad’ erst an», sagte ein Mädchen mit abstehenden roten Zöpfen, die mit «Los, Else, du kommst ins Tor», von ihren Kumpanen zurückbeordert wurde. Mit dem Ball unterm Arm trabte Else davon, nicht ohne zuvor mit geweiteten Augen in Anwars Gesicht versunken gewesen zu sein.
    «Was aus der wohl mal wird?»
    «She’ll make her way.»
    «Da bin ich mir sicher.»
    Else beäugte aus der Ferne noch einmal die Gamaschen.
    «Wir können ja nun nicht mitspielen.» Die Herren lösten sich vom Fleck. Aber es blieb interessant. Und was wollte man für den Moment mehr?
    «Da kommt immer Müll rein?» Anwar strich über den Griff einer Abfalltonne, neben der sich ein Dutzend reihte.
    «Ja. Das tut er.»
    «Immer alles?»
    «So versucht man’s hierzulande zu handhaben.» Der Gefährte bekam am fundamentalen Gegenstand nun einen ebensolchen Eindruck von Gründlichkeit, Ordnungssinn, worauf, allgemein gedacht, gelegentlich der Weg ins Große und Bedeutende beruhen konnte. «Natürlich fließt auch vieles in den Rhein oder wird über dem Pott verschwefelt. Wie allerorten.»
    Anwar wich Hundekot aus. Selbst im Spezialitätenrestaurant Nanking Bowl von Madame Tschuo-Lai hatte er von der sichtlich unreinen Tierart nie gekostet. Die Pflaumen-Lotus-Kruste galt allerdings als unübertrefflich. Klaus stieß gegen ein Verkehrsschild, aber das war nicht weiter schlimm.
    «Ach, Thomas Mann ist jetzt weit weg.»
    «So?»
    «Ich habe auch gar kein Plakat gesehen. Vielleicht ist alles eine Fata Morgana. Überseereisen verwirren. Zeitzonen, Klimaschock, meine Mutter.»
    Anwar wandte sich neuerlich um. Dann spähte er ruckhaft in eine anstoßende Gasse. Er erkannte nicht genau. Allerdings gewahrte er zum zweiten oder dritten Mal seit der Landung in Frankfurt eines dieser famosen gläsernen Häuschen, fast ein gelbes Tempelchen, worin man telefonieren konnte. Mehrere Personen harrten darauf, daß der Apparat frei würde. Das war fabelhafte Technik. Asien dümpelte doch in vielem weit hinterher, zumal in den Bergen oder im chinesischen Hinterland, wo sich hungernde Bauern zu Zehntausenden barfuß dem Revolutionär Mao angeschlossen hatten. Kein Fernsprechkiosk dort, bestenfalls Reisig zum Aufwärmen im Winter. Sie starben wie die Fliegen; hier hatte er einen blitzblanken Lazarettwagen mit blauem Warnlicht die breite Straße entlangsausen sehen. Recht perfekt für ein, wie es hieß, zerschlagenes Land. Er schloß zu Klaus auf. Der identifizierte ein dumpfes Schlagen als Teppichklopfen.
    «Am Abend? Das wird Beschwerden hageln. Wir gehen zum Burgplatz. Dort gab es ordentliche Küche. Und gut gezapftes Bier!»
    «Ja, Durst.»
    Mittlerweile, an der Bölkestraße – eingeschossige Eilbauten, Pilsstuben, eine Buchhandlung, Arm in Arm flanierende Frauen, Grollen überm Rhein –, hatte ein ganz anderer Rhythmus die kräftige Teppichentstaubung verdrängt. Offenbar gehörte es sich so, wie bereits Anfang der dreißiger Jahre, daß Swing aus hellen Kellerfenstern ins Weite drang. Doch es war nicht jener federnde Sound, an den Klaus sich erinnerte, dieser schwirrende Bandklang, aus dem sich eine melodiöse Soloimprovisation entwickelte, Two o’clock jump , Benny Goodman?, Jazzer im Frack auf der Bühne, was sich Ecke Bölke-, Hunsrückenstraße ausbreitete. In dem jetzigen Keller ging es schriller, noch fetziger zur Sache. Wahrscheinlich spielten sich um diese Uhrzeit Jungs in schwarzen Klamotten erst warm, aber zu den rasenden Dissonanzen – oder war es freies Gelärm? – schubsten sich bereits drei, vier Paare gekonnt über den Fußboden, ein Mädchen mit Pferdeschwanz und in Hosen wickelte sich in den Arm ihres Partners und wirbelte daraus wieder hervor, den Kopf zurückgeworfen. «Biebock!» oder etwas Ähnliches brüllte das ganze Lokal, die Musik war aus. Schon begann mit dem Schlagzeugbesen ein neues Stück. «Sorry», «Dürfen wir mal?» Blutjunge Düsseldorfer drängten sich an den Zuschauern mit Mantel und Krawatte vorbei, um im Downtown zu verschwinden. – Mit dem Jahrgang 1909 beziehungsweise 1919 zählte man zum alten Eisen.
    «Das ist ja Existenztanz da unten», fand Klaus eine recht zutreffende Formulierung.
    Anwar hatte als Kind ekstatischere Tänze fast nackter Schamanen um die Nachtfeuer des Hochlanddorfes gesehen, spürte, daß er solche Glut der Luft und der stundenlangen Entäußerung

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