Königsallee: Roman (German Edition)
probieren.»
Die Herren aus Fernost rafften sich auf und durchquerten eine Schar von Leuten, Damen mit Stola, Herren im Smoking, die der Garderobe des Breidenbacher Hofs zustrebten, wo auf einer Saaltafel mit beweglichen Lettern Jahresempfang Niederrheinische Hüttenwerke angekündigt war.
Der Portier handhabte die Tür einarmig perfekt.
Es dämmerte schon. Die Kleider und Blumenarrangements vorm Eingang leuchteten nicht mehr ganz bunt. Nicht zu unterscheiden war, ob Gewölk im Westen den Abend heranschob oder sich zum Gewitter ballte. Die Schwüle war von einigen feucht glänzenden Gesichtern abzulesen, von einem spazierenden Frauenpaar, das sich Luft zufächelte. Anwar traute seinen Augen nicht. Eine der beiden trug unterm wippenden Rock Nylonstrümpfe, auf der Wadenhaut ihrer Begleiterin war lotrecht eine Naht gezeichnet, die über den Hackenriemen der Sandalen leicht verfloß. Illusionsstrümpfe waren bei der Hitze, welche die Einwohner zu empfinden schienen, natürlich das luftig Praktischste.
Baulärm erfüllte weiterhin die Luft. Bereits im Scheinwerferlicht schaufelten Arbeiter aus einer Mischmaschine Zement in Schubkarren, die über dicke weißliche Bretter zu Maurern der Akkord- oder Nachtschicht gekurvt wurden. Ziegel für ein Fundament wurden mit Mörtel bestrichen und eingepaßt. Vorm Bauwagen stapelten sich Flaschenkisten. Im Innern gestikulierte ein Mann mit Helm und drückte seine Zigarette am Rahmen der offenen Tür aus.
«Wohin wollte ich?» fragte Klaus.
Anwar zuckte die Achseln.
«Goldener Ring? Ich erkenne die Straßen nicht alle wieder. Ein paar sind ja auch weg.»
Zwischen Straßenbahnen, einigen Kraftfahrzeugen, auch Mopeds überquerten sie unweit des Zebrastreifens die lange breite Alleestraße in Richtung Altstadt, die Klaus als Hindenburgstraße gekannt hatte. «Irgendwann einmal», erinnerte er sich, «hatte sie Heinrich-Heine-Straße heißen sollen.» Er hörte eine Trillerpfeife. Der scharfe Ton fand den Adressaten. Auf dem Gehsteig hinter sich erblickte Klaus den Schutzmann in grünem Uniformmantel und mit schwarzem Tschako. Die behandschuhte Hand wies auf die Fußgängermarkierung. Sein Blick des Bedauerns und fast eine Verbeugung kamen Klaus jetzt wie angeboren vor. Der Polizist verschränkte die Arme im Rücken, setzte seinen Gang fort. Anwar schien das kleine Drama gar nicht bemerkt zu haben. Die fernen Großstadtstraßen, die sie gut kannten, waren oft ein einziger Krawall mit Marktschreiern bis tief in die Nacht, Geklingel von Rikschafahrern, die sich ihren Weg bahnten, hupenden Limousinen, deren Kühlwasser hinter einer scheppernden und klirrenden Prozession zu dampfen begann. «Still hier», kommentierte der Indonesier denn auch vor dem ausgebrannten Gemäuer der Kunsthalle, «aus gelebt» fügte er noch ein wenig fröstelnd an, obwohl man Schritte einiger Passanten vernahm, zur Sicherheit teils mit einem Schirm am Arm. Immer grauere einzelne im Zwielicht.
«Ruhig, aber nicht ungefährlich», resümierte Klaus und bohrte rasch mit dem Finger im Ohr.
«Königspalast gewesen», befand Anwar eindeutig und ging um eine geborstene Säule des verschwundenen Ausstellungsgebäudes.
Klaus war betrübt. Selbstverständlich hatten seine Eltern ihn schon als Kind in Ausstellungen des Œuvres van Dycks, aber auch Chagalls und Max Ernsts geschleift, ohne daß er angesichts manch alptraumhafter Skulptur nennbaren Schaden genommen hätte. Verrußte Steinamphoren, zersprungene Friesblumen des stolzen Kunstbaus stapelten sich nun finster unter Maschendraht. Konnte solcher Wunsch zur Pracht je zurückkehren? Anwar strich über ein gespaltenes Kapitell. «Dom Pedro I. von Deutschland.» Klaus ließ ihn in der eigenwilligen Illusion vor der überrannten Pfalz eines Herrschers stehen. Man konnte nicht dauernd alles erläutern.
«Bölkestraße, da gibt’s auch einiges.»
Sie setzten ihren Weg fort.
Nun war es Anwar, der sich kurz umwandte, aber dann weiterging. Links und rechts ein Nebeneinander von Bruch, Schwärze, Stübchenlampen und neuem oder fortgeführtem Leben. Kriegerwitwen und junge Mütter Wand an Wand. Eine sichtliche Überzahl von Frauen. In der maroden Neubrückenstraße Gaslaternen, um die Ecke in der Andreasstraße neue galgenartige Peitschenlampen. Der Nachwuchs bolzte offenbar in jeder dritten Hauseinfahrt. Und noch immer Jungs in den kurzen Lederhosen, die Klaus als Kind gehaßt hatte, die Träger rutschten, der Hosenboden war hart. Ach, meine lieben Nachfahren,
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