Königsallee: Roman (German Edition)
Dichter Hofmannsthal, der erklärte, daß ihm die Sprache endgültig zu faulen Pilzen zerfalle, Frau Katia, die fortwährend nach ihrem Schlüsselbund suchte, während das Küchenpersonal – ich habe es selbst beobachtet – Butter für privat abzweigte, und dieser Chauffeur, ein scheeler Typ, der mit hochgelegten Beinen im Auto stundenlang den Völkischen Beobachter studierte.»
Der gegenwärtige Sohn nickte.
«Er schleuste 1933 zum Durchwühlen und wahrscheinlich auch Stehlen seine Parteischergen ins Haus, das er dann aber natürlich nicht selbst bekommen hat. An ihm vorbei konnte ich wenigstens die Tagebücher in die Schweiz retten. Seither ist das Über-Ich wohlwollender mir gegenüber.»
«Wie hieß der Fahrer?»
«Solche Namen dürfen vergessen bleiben. Das sei eine Rache», klang es plötzlich sehr dezidiert, «ei ja, ins Nichts mit ihm, das dichtete der Brecht sehr eindrucksvoll.»
«Klaus ist tot.»
Anwars Nachbar schien es gewohnt zu sein, seinen Namen zu flüstern und mit einiger Demut zu präsentieren: «Angelus Gottfried – Thomas. Golo.»
«Natürlich, den gab es ja auch noch! Ihr Bett? Drum herum zehnmal so viele Bücher wie ich zu Hause besaß. Und in einer Ecke eine Kleiderpuppe mit einem Reifrockkostümchen.»
Der Sohn wirkte geniert. «Ich habe in unserem Haustheater, dem Laienbund der deutschen Mimiker, wie wir es ungestüm nannten, in der Minna von Barnhelm , als Zehnjähriger, die Dame in Trauer gespielt.»
«Oh», entfuhr es Klaus. «Sagt sie denn etwas?»
«Wenig. Sie ist ja in Trauer. Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein . – Mein Gedächtnis gilt als sensationell. Vielleicht kann ich nicht vergessen, weil ich Unglück sammeln muß.»
«Stimmt.»
«Wieso?» blickte es klagend.
«Auch ich erinnere mich. Ich glaube, es wurde bei Tisch erzählt, ich war ja nur wenige Tage in München, daß die ersten Laute des Sohns, in dessen Zimmer ich übernachtete, seine frühesten Worte, nicht Mama , nicht Papa , sondern Wust und Boot gewesen waren. Leicht beklommen wurde darüber gelacht.»
«Gelacht?» Golo Mann schien auf Anwars Pastete zu schauen, ohne sie wahrzunehmen: «Ich weiß, daß ich zu einem Freund des Hauses spreche, und zwar nicht ohne Absicht. Von Erika erfuhr ich, daß Sie zur Lesung angereist sind.» Klaus Heuser reagierte möglichst nicht. «Sie, allesamt, mochten mich nicht. Ich war nicht hübsch, offenbar bereits als Säugling nicht, ich wurde nicht, wie soll ich sagen, vorzüglich. Aber wie soll man nicht mürrisch und verstockt geraten, wenn einem die brillanten älteren Geschwister, diese Luftgeister …» – bei dem Begriff nickte Anwar seinem Freund zu – «… stets vorgezogen werden, sogar planlos. Je einfallsreicher Erika und je charmanter Klaus wurden, desto schlimmer bedrängte mich die Memme.»
«Die kenne ich nicht», gestand Klaus bei diesem Austausch, der sich in ganz eigener Weise zwanglos zum Gesangsauftritt der Tochter und zu Professor Bertrams Kniefall fügte. Seinen Rest Sauerbraten schob er beiseite. «Die Memme», die Augen des gedrungenen Sohns waren klar und streiften durchs Verrauchte im Gelbschein, «war und ist das Ungetüm, die Unholdin, Hexe, die Drude, die neben der Kinderwiege nistet, die auf dem Schulweg durch die Laubkronen rauscht, die plötzlich auf dem Bettrand hockt und lispelt wie ich selbst: Es wird nichts. – Schau, die Falle, die ich dir nicht zeige! – Da hinein. Ah, du Holperdings, gleich, pardauz, landen wir auf dem Näschen. Die Memme war immer um mich. Sie raunte mir zu, Klaus zu verpetzen, wenn er in den Elendswintern des ersten Kriegs Zuckerwürfel stibitzte, die dem Vater vorbehalten waren. Sie befahl, daß ich sagen sollte: Der Mathematiklehrer hat sich verschrieben, die Sechs unter meiner Arbeit ist eine Fünf. Die Memme ließ mich sogar hinken, wenn ich gar nicht hinken mußte. Wahrscheinlich besaß der böse Geist bisweilen auch Macht über meinen Vater, der sich nicht scheute, mich, seinen zweiten Sohn, daheim und vor der Weltöffentlichkeit als Beißer zu bezeichnen, in seiner Familienerzählung von der Unordnung und dem frühen Leid als lästige Nebengestalt zu beschreiben: Der Beißer, schrieb er, neigt zu Jähzorn und Wutgetrampel, zu verzweifelten und erbitterten Tränenergüssen über jede Kleinigkeit. Beißers Haar ist ungeschickt angewachsen überall, struppig, und sieht aus wie eine kleine, komische, schlechtsitzende Perücke. Ist er erkältet, so scheint er ganz voll von
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