Königsallee: Roman (German Edition)
Auch Eifersucht würde sich mildern, wenn jemand sämtliche Umstände, die zu ihr beitrugen, mit bedachte. Die eigenen Fehler, die Ahnung, daß Eifersucht auch nichts Bleibendes wäre, sie durch viele folgende Empfindungen zu einem umfangreicheren Gefühlsspektrum werden würde. Haß konnte relativiert werden. Konnte er das? Liebe auch? Schwankend zu ermüden, hülfe jedenfalls, nicht hitzig zu rasch das möglicherweise Falsche zu tun. Zu morden, sich zu verlieren, fanatisch zu werden. Im Abwägen lag das matte Heil. Das Sein am Rande der Auflösung. Wie schön. Das war nun also das Modernste.
Ein Getöse aus dem Hauptraum verklang. Klaus erkannte einen Wegweiser: Zur Kegelbahn.
«Meinen Überfall müssen Sie entschuldigen.»
«Das ist eine Premiere. Gerne.»
«Ich will es auf den Punkt bringen.»
«Bitte.»
«Was nicht einfach ist und auch nicht einfach sein muß. Die Memme, mein Angstgeist, machte mich zum Zauderer. Doch wessen Dasein wäre ein unnützes und gänzlich unfruchtbar? Meine ich. Ich vermute, Sie werden mir helfen. Ich habe alles dabei.» Golo Mann strich über die Mappe auf seinem Schoß, die beinahe in Vergessenheit geraten wäre. Just in diesem Moment spähte Anwar wie von ungefähr durch den Fensterspalt, ob nach dem Gesicht eines Jungen die Zipfelkappe des Bertram zu gewahren wäre.
«Zu Ihnen darf ich offen sein.»
Klaus meinte jovial zu blicken.
«In einem Haushalt wie dem unsrigen muß man sich einen Namen machen. Annähernd gleichgültig, auf welche Weise. Durch Geniestreiche oder durch Übeltaten. Es ist nicht vorstellbar, ein Kind Thomas Manns zu sein, um nach der Berufsschule bei den Gaswerken zu arbeiten. In dem Falle hätte man zumindest seinen Namen ändern müssen. Auch ein Sohn Mozarts, der in der Wiener Hofburg Parkettbohnerer geworden wäre, hätte als sein völliges Versagen gelebt. Der Geist des Haushalts, so furios oder verworfen es manchmal auch zuging, verpflichtete zu großen Gedanken, zur Vertrautheit mit den bewegenden Hervorbringungen der Menschheit. Es fand doch kein Frühstück statt, bei dem nicht Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung als Devise im Raum schwebte, den Tag mit stoischer Schicksalszuwendung zu beginnen, mildtätig die Butter zu reichen und sie formvollendet über die Semmel zu streichen. Das Siegfriedidyll wob wie von selbst unter allen Lampen und verklärte an Herbsttagen mit dem Gefühl, daß alles hienieden ein Aufscheinen, Hingabe und Vergehen ist. Chansons von Erika ließen eine Weltmunterkeit aufklingen, die ersten Prosawerke von Klaus, zu dessen Diener ich mich übrigens erklärte, eine heiße Emotionalität einbrechen: Ich, der schwarze Schwan, breitete mächtige Schwingen aus und erhob mich über mein Land …
Ich will dieses Haus mit seinen Gästen einen vollständigen Kosmos nennen. Jede Seite der Geschichte konnte dort aufgeschlagen und bedacht werden, kaum eine Gegebenheit verschlug die Sprache. Durch den Ruhm des Zauberers, insbesondere nach dem Nobelpreis, wiesen jeder Gedanke und jede Regung über sich selbst hinaus und schienen für die Veröffentlichung in den Zeitungen der Republik und der Gegenwart bestimmt sein zu können. Der Eingang zu seinem Arbeitszimmer war eine hölzerne Tür, doch zugleich auch die Pforte zum Allerheiligsten, wo die Pharaonen, der Gott der Kanaaniter lebendig wurden und der Schwenk vom Obrigkeitsstaat zur Demokratie sorgfältig begründet wurde: Die Republik – als ob das nicht heimlichere Heimat sein könnte als irgendein strahlendes, rasselndes, fuchtelndes Reich!»
«Ich komme mir ganz klein vor, aber ich war in dem Raum.»
«Ich weiß. Und in derselben Rede, vor hunderten von Menschen gehalten, die er vor Diktatur warnen wollte, bekannte er mutig überdies, als Beschwörung kostbarer Zerbrechlichkeit: Es gibt nur einen Tempel in der Welt, und das ist der menschliche Körper. Nichts ist heiliger als diese hohe Gestalt. Das Bücken vor dem Menschen ist eine Huldigung dieser Offenbarung im Fleisch. Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet.»
«Ich bekenne nichts.»
«Klaus Heuser!» entfuhr es Golo Mann ohne bestimmbare Zielrichtung. «Von Erika haben Sie vielleicht gehört, daß Sie der Joseph in Ägypten und noch Felix Krull sind. Ja, das Schemen, ein Teil der Inspiration, eine Bekräftigung der Erscheinung könnten Sie sein. Womöglich haben Sie Hundertausende, Millionen von Lesern entzückt. Und ich darf Sie nicht kränken. Aber auf dem Internat in Salem gewann ich
Weitere Kostenlose Bücher