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Königsallee: Roman (German Edition)

Königsallee: Roman (German Edition)

Titel: Königsallee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pleschinski
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Ausbruch des Ersten Weltkriegs um Tage aufzuschieben und damit vielleicht zu verhindern, hatte dieser Politiker nicht erfüllt. Ja, er war seiner Ämter enthoben worden. Was ihm blieb, waren Trauer, Haltung und ein halbes Glas Wein aus böhmischem Kristall. Nach lehrreichen Tagen, Märschen durch die Forste kam es zum Zwischenfall: Ich saß beim Frühstück mit der Fürstin, Michael. Der Fürst trat ein, ich erhob mich nicht. Er ging wieder hinaus, indem er seine Gattin bat, ihm zu folgen. Das Gespräch, welches draußen stattfand, drang in meine Ohren. Er: Das gehört sich nicht, man steht doch auf, wenn ich hereinkomme. Sie: Ja. Der Fürst sprach weiter, sie antwortete mit: Ja. – Ich krümmte mich vor Peinlichkeit. Verstehen Sie? Ein Sittengebäude, das durch Jahrhunderte gewachsen war, das ein letzter Halt dieses alten Diplomaten war, hatte ich zu Fall gebracht. Ich fand nicht den Mut, mich zu entschuldigen. Er richtete nie mehr das Wort an mich.»
    «Auch das hat Sie traumatisiert?»
    «Ich habe beleidigt. Ich habe Geschichte, Gewordenes mißachtet und den Einzelnen nicht in seiner Eigentümlichkeit erkannt. Seither erhebe ich mich, wenn eine Wirtin mir am Tisch guten Tag sagt, und erhebe mich, wenn ein Kind hereinkommt.»
    «Läßt sich ein wenig, wie soll ich sagen, engführen, was Sie, Herr Mann, umtreibt?» fragte Heuser, der eine im übrigen kleinbürgerliche Abwehr gegen den Sog des Tages aufgegeben zu haben schien. Golo Manns Lederellenbogen streiften fortwährend fast eine unscheinbare Weinlache auf dem Tisch. Doch egal.
    «Ohne Begründung mit meinem Anliegen herauspoltern? Die Gedanken zusammenführen? Das ließe sich versuchen, ja und nein. Klarheit über mich und was mich umgibt, bedrängt, herausfordert, besitze ich nur momentweise. Auf lange Strecken bin ich ein diffuses Geschehen und von nicht exakt identifizierbaren Einflüssen bestimmt. Ich möchte behaupten: Ich bin der moderne Mensch. Ich widme mich Themen, die mich reizen. Ob Denken und Tätigkeiten zwangsläufig sind, wer möchte das bestimmen? Mein Vater steht, grosso modo, für Lust und Leid der bürgerlichen Sphäre. Mein Bruder stand für das Aufbegehren. Meine Schwester versucht zu wünschen, daß im Kommunismus das Heil der Menschheit läge. Ich aber bin das Zusammenströmen der Gedankenwelt, quasi bereits eine nachmoderne Erscheinung voller Wissen, Wenn und Aber und schlicht nur noch Humanismus ohne Programm. Es sei denn das Programm, Fanatismus zu vermeiden, Ererbtes zu bewahren, in Ruhe zwischen den diversen Aufgeregtheiten der Gemüter zu vermitteln. – Wenn ich mich doch nur angemessen und auffällig äußern könnte!»
    «Sie erklären mir Ihre Haltung doch gerade recht sympathisch und ausgesprochen klar.»
    «Schriftlich, Herr Heuser, in Büchern, in Zeitungen ausdrücken könnte. Schrift meint das Blut der Familie. Mir fehlen Ermutigung und freie Bahn. Der alles überschattende Vater steht im Wege. Die knarzige Mutter hat nichts Ersprießliches. Eri zerrt an den Nerven.»
    Klaus Heuser lehnte sich zeitlupenmäßig zurück, zog die Stirn in Falten, erklärte betont leise: «Sie werden mich in kein Verbrechen verwickeln.»
    Als riefe erst Heusers Gedanke ein komplettes Szenario auf den Plan, zuckte es über Golo Manns Gesicht. Erfreuliche Visionen, Schreckensbilder schienen sich in ihm abzuwechseln: «Die Behinderer leben alle drei. Das ist nicht nur gut.»
    «Ich muß doch sehr bitten. Für ein Komplott stehen Herr Sumayputra und ich nicht zur Verfügung. Wir kommen nicht aus Shanghai, um vor der deutschen Justiz zu enden.»
    «Beim Abendessen …», arbeitete es im Sohn weiter, «… irgendetwas ins Essen, Curare», schaute er den Batak kurz an, «mein Gott, das wäre eine Ruhe. – Der Krull ist der frohe Abschluß eines überreichen Werks. Eri sehnt sich immer inständiger nach Entspannung. Die Alte ohne den Alten, auch unnötig.» Ein unbestimmter Glanz huschte über Golo Manns Gesicht. «Diese drei Alarmglocken und Posaunen, die alles übertönen, liegen plötzlich friedlich ausgestreckt nebeneinander unter dem Tisch. Ich schriebe noch in der Nacht meinen ersten Satz eines Buchs über den Feldherrn Wallenstein, dann in Ruhe Kapitel um Kapitel, mein Werk begönne.»
    «Ich will mir jetzt keine weiteren Gedanken über Ihre Familie machen, Herr Mann. Ich rate Ihnen weiter zum Zögern. Und Sie sprachen gerade über den Humanismus.»
    Der Nachschleicher erwachte aus schönen Träumen. «Gewiß», wurde er wieder zivil und fuhr

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