Königsallee: Roman (German Edition)
Schiller auf unseren bescheidenen Brettern im Schloß!
Ein ruheloser Marsch war unser Leben,
Und wie des Windes Sausen, heimatlos,
Durchstürmten wir die kriegbewegte Erde .
Jede deutsche Schülergeneration wird in alle Zukunft mit Genuß und Gewinn die Stuart , die Glocke , den Wallenstein in sich aufsaugen. Und Bildung hilft dem Subjekt, sich zu erkennen und auszudrücken! Welcher Menschheitsjubel in den Versen, welch Erspüren der widersprüchlichen Lebenskräfte, von Lug, Trug und Kampf. Schiller, du empfindsamer Heros! Vier Stunden Wallensteins Tod zogen Zuschauer aus der gesamten Umgebung an. Wallenstein, der war ich! Wallenstein», Golo Mann harkte Haare aus der Stirn, «oh, mein Wallenstein, der mächtige Zauderer, der Sternengläubige. Er unterwirft sich im Namen des Kaisers das Reich, am Schluß fehlt ihm die Kraft, seinen Mördern entgegenzutreten. Oder war der rätselhafte Generalissimus und Fürst, der Herr des Dreißigjährigen Kriegs, müde jeder weiteren Herausforderung? War die Memme sein Feind? Wollte der rätselvolle Schlachtenlenker selbst erlöst sein und zu den Sternen? Eine grandiose Spur hat er auf Erden hinterlassen, über die Nebel und Deutungen wallen würden. Weil mehr uns nicht gegeben ist?
Nicht Zeit ists mehr, zu brüten und zu sinnen,
Denn Jupiter, der glänzende, regiert
Und zieht das dunkel zubereitete Werk
Gewaltig in das Licht – Jetzt muß
Gehandelt werden, schleunig, eh die Glücks-
Gestalt mir wieder wegflieht überm Haupt,
Denn stets in Wallung ist der Himmelsbogen.
Er handelt nicht, er verbündet sich nicht mit den Schweden gegen seinen heimtückischen Kaiser. Der zu mächtige Stratege wird beseitigt. Was lernen wir daraus? Das Rad Fortunas zermalmt alle.»
«Mit einer solchen Gestalt sollten Sie sich genauer beschäftigen. Sie bringt uns Vergangenheit nahe. Sie hilft, sich gegen das Schicksal zu wappnen. Und die Verse sind herrlich.»
Golo Mann ächzte. «Den Dreißigjährigen Krieg erzählen? Einen Taktierer zwischen den Mächten der Welt ins Zentrum stellen, nach Schiller, ich bräuchte freie Bahn, um mich in ein solches Unterfangen zu stürzen. Zuspruch und Entfaltungsmöglichkeit.»
«Die haben Sie nicht?»
«Herr Heuser, es mißlang zu vieles und endete im Dunkel.»
Klaus Heuser hob die Achseln.
«Vielleicht war es der peinlichste Zwischenfall meines Lebens.»
«Davon hört man gerne, ich meine, daraus lernt man am meisten.»
«Zur Zeit der Wallenstein- Proben, im bitteren Winter ’23, war ich eingeladen, meinen Schulfreund Michael Lichnowsky, eigentlich Michael Prinz von Lichnowsky – aber Adelstitel, schon gar österreichische, waren in der frischgegründeten Tschechoslowakischen Republik geächtet – auf dem elterlichen Schloß zu besuchen. Eine herausragende Ehre, ein immenser Vertrauensbeweis Michaels und seiner Familie. Kuchelna war vor dem Krieg ein Zentrum der Gesellschaft gewesen, ein Palast mit wohl hundert Räumen. Nun lag der Sitz der scharf enteigneten Fürsten wie leblos im mährischen Land, nur noch wenige Bedienstete gingen ihren Pflichten nach oder verdämmerten leidlich versorgt in ihren Dachkammern. Das alte Europa, das der Monarchen, Dynastien, des Glanzes und mancher Ungerechtigkeiten, jedenfalls die alte Welt starb auch in Kuchelna endgültig vor sich hin. In jenem Winter speisten an der langen Tafel für Dutzende von Gästen nur noch das Fürstenpaar, Michael und ich. Doch, ich erinnere mich genau, Menükarten lagen neben den Tellern. Der Fürst Lichnowsky, den die Geschichte kennt, war ehedem Diplomat, Gesandter des Deutschen Reichs in London gewesen. Dieser Grandseigneur und Freund von Frieden und Wohlfahrt hatte im Sommer 1914 als einer der wenigen in Europa vor dem drohenden ungeheuren Krieg gewarnt. Seine mutige Depesche aus England in das kaiserliche Berlin wurde zu spät legendär: Ich möchte dringend davor warnen, an die Möglichkeit der Lokalisierung auch fernerhin zu glauben, und die gehorsamste Bitte aussprechen, unsere Haltung einzig und allein von der Notwendigkeit leiten zu lassen, dem deutschen Volke einen Kampf zu ersparen, bei dem es nichts zu gewinnen und alles zu verlieren hat. – Niemand hörte auf den Fürsten, die Karabiner waren geschultert, und mit Hurra stürmte das Abendland in die Schützengräben und Giftgaswolken. Am Tisch dieses Mannes von ältester Noblesse saß ich nun, schwitzte im toten Schloß vor Glück und Verlegenheit. Der Fürst war freundlich und versteinert. Seine Lebenspflicht, den
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