Königsallee
Präsidium keine Alltäglichkeit. Engel wettete darauf, dass der Kollege darunter ein Schulterholster verbarg: Outfit und Waffe als Stützen des Selbstbewusstseins, wo anderen ein ruppiger Ton oder ein schnoddriger Scherz genügten.
Als Kommissar im Inneren Dienst hatte Reuter als Shootingstar gegolten. Zielstrebig und belastbar. Inzwischen war er neunundzwanzig Jahre alt, hatte ausschließlich sehr gute Beurteilungen eingefahren und auch sein neuer Dienststellenleiter Hennerkamm schien große Stücke auf ihn zu halten. Doch für Engels Geschmack hatte der Junge zu wenig frischen Wind ins KK 22 gebracht.
Der Kripochef wandte sich an Meinhard Münch. »Wo ist der Beckmann?«
»Wo er hingehört.« Der Leitende Oberstaatsanwalt faltete die Hände und blinzelte zur Decke. »Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ist wieder im Besitz des großartigen Meisterwerks.«
»Worin bestand der Deal?«
»Darin, dass die Ermittlungen ab sofort eingestellt werden.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!«, entfuhr es Reuter.
Engel sagte: »Und zudem ist eine Menge Geld geflossen, nehme ich an.«
»Die Summe liegt unter dem Versicherungswert, tut also nicht einmal besonders weh.«
»Das nennt man Artnapping«, ließ Reuter sich wieder vernehmen. »Sollen die Gangster straffrei ausgehen?«
Münch würdigte ihn keines Blicks. »Der Strafanspruch des Staates tritt hinter das Interesse der Öffentlichkeit an der Wiederbeschaffung eines außerordentlichen Kulturguts zurück. Zudem würden wir das Leben der Vermittlungsperson gefährden, wenn wir gegen die Abmachungen verstießen.«
»Meine Dienststelle könnte für Schutz sorgen«, gab Kai Hennerkamm zu bedenken.
Ein Räuspern. »Nein, keine weiteren Aktivitäten. Das ist eine dienstliche Anweisung.«
»Wer hat den Rückkauf vermittelt?«, fragte Hennerkamm.
Engel kannte die Antwort bereits. Er spürte wieder das Kratzen in seiner Kehle und zog die Schublade auf. Salbeibonbons an allen strategisch wichtigen Orten.
Der Chef der Staatsanwaltschaft zupfte an seiner Fliege. »Der Mann ist absolut integer. Er wurde ausschließlich vom Museum und nicht von der Gegenseite honoriert. Die Rechtslage ist wasserdicht.«
Reuter insistierte: »Wer sagt uns, dass der Vermittler nicht trotzdem mit den Räubern unter einer Decke steckt?«
»Seit wann liefen die Verhandlungen?«, fragte Engel.
»Die ersten Gespräche gab es vor etwa einem Jahr. Wir waren von Anfang an eingebunden.«
Ohne uns zu informieren, dachte Engel. Er hätte Münch gern die Meinung gegeigt. Aber der Leitende Oberstaatsanwalt saß am längeren Hebel, die Staatsanwaltschaft war Herrin des Verfahrens.
»Wir sind uns also einig«, sagte Münch. »Morgen werden wir das Bild der Öffentlichkeit präsentieren.«
»Warum reden wir um den heißen Brei herum?«, warf Reuter ein. »Manfred Böhr hatte das Bild in seinem Besitz. Soll er schon wieder straffrei ausgehen?«
Engel erinnerte sich an den Prozess gegen den Koksbaron. Verschollene Beweise – der Skandal tat heute noch weh.
»Ihre Fixierung auf Böhr ist absurd«, widersprach Westhoff. »Wir haben das schon mehrfach durchgesprochen.«
Reuter schüttelte den Kopf. »Die beiden Ukrainer waren Böhrs Angestellte.«
»Das muss nichts bedeuten.«
»Wenn Sie uns mehr Spielraum bei den Ermittlungen gegeben hätten, wäre das Bild längst ohne Lösegeldzahlung zurück im Museum. Und Böhr säße im Knast, statt sich ins Fäustchen zu lachen.«
»Lass gut ein«, versuchte Hennerkamm, seinen Mitarbeiter zu bremsen.
Oberstaatsanwalt Westhoff lächelte gönnerhaft. »Seien Sie nicht gleich beleidigt, Reuter. Nur weil Sie gegen Böhr nichts erreicht haben.«
Reuters Wangen glühten. »Es gibt neue Erkenntnisse. Die Kolumbianer haben Böhrs Eltern entführt und fordern die Bezahlung der Lieferung, die wir abgefangen haben.« Er fixierte Münch. »Oder gilt das Ermittlungsverbot gegen Böhr generell?«
»Schicken Sie mir die Unterlagen«, antwortete Westhoff.
Münch erhob sich – ganz der gestresste Spitzenbeamte, der Wichtigeres zu tun hatte, als sich mit starrköpfigen Kommissaren abzugeben.
Er gab dem Kripochef die Hand. »Halten Sie Ihre Leute im Zaum, Herr Engel.«
Reuter schnappte sich das Streichholzbriefchen, das Westhoff auf dem Tisch hatte liegen lassen. Der OK-Ermittler kam jetzt richtig in Fahrt. » Zum Goldenen Einhorn. Ihr Stammlokal, Herr Westhoff?«
Die Chefjuristen ignorierten ihn und verdrückten sich.
Engel nahm sich noch ein Bonbon – er fühlte sich gar
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