Königsallee
Rauschgiftkollegen vorbei zu den OK-Kommissariaten führte, lag still und menschenleer, auch vom hinteren Treppenhaus drang kein Laut herauf, nur seine eigenen Schritte hallten. Er schloss sein Zimmer auf und kippte das Fenster. Abgestandener Rauch hing in der Luft, dabei hatte er dem Kollegen Koch das Qualmen verboten. Ihr gemeinsames Büro war ein enges, mit alten Möbeln zugestelltes Kabuff: zwei Schreibtische, drei Stühle sowie ein Schrank zum Verstauen von Akten und Ordnern.
Der Abreißkalender zeigte noch den Mittwoch an. Reuter zupfte das oberste Blatt weg. Er goss die Fette Henne auf dem Fensterbrett, die der strafversetzte Norbert Scholz zurückgelassen hatte.
Bleiben Sie dran an dieser Gemäldenummer – zunächst hatte Reuter sich über die Ansage des Kripochefs gefreut. Sie teilten ein Ziel, waren Verbündete im heimlichen Weiterforschen. Aber wie stellte sich Engel das vor? Ein Alleingang eines KK-22-Kommissars, der sich über das Verbot der Staatsanwaltschaft hinwegsetzte, konnte nicht gut gehen.
Ich habe mir mehr von Ihnen versprochen – Reuter verfluchte den Leitenden Kriminaldirektor, diesen Großkotz mit seinem Espresso-Getue.
Dranbleiben, Erwartungen befriedigen: Der große Karton mit den Unterlagen der Stadtsparkasse stand in der Ecke. Reuter zog ihn ins Licht und klappte den Deckel auf. Stapel von Schnellheftern. Er hatte das meiste bereits durchgesehen, dabei aber nicht gerade auf Verbindungen Manfred Böhrs nach Zürich geachtet.
Wenn der Koksbaron das Beckmann-Gemälde an die Kunstsammlung verkauft hatte, warum beglich er dann mit dem Erlös nicht seine Schulden bei Alfonso? Stattdessen hatten die Kolumbianer angeblich sogar Böhrs Eltern entführt, um ihr Geld einzutreiben. Das passte irgendwie nicht.
Das Personalblatt der Akte Böhr enthielt Angaben über Namen und Wohnort der Eltern. Gertrud und Josef Böhr, beide wohnhaft in Brilon, Am Renzelsberg 12. Die Polizeibehörde des Hochsauerlandkreises unterhielt eine Wache in dem Ort. Reuter rief an und trug sein Anliegen vor. Der Kollege, den er an der Strippe hatte, kannte das Paar nicht. Er bejammerte, dass seine Dienststelle am Feiertag unterbesetzt sei, versprach aber zu überprüfen, ob es Hinweise auf ein unfreiwilliges Verschwinden der Böhrs gab.
Reuter fuhr seinen Rechner hoch und schrieb eine E-Mail an die OK-Leute des Landeskriminalamts. Er schilderte den angeblichen Hintergrund des Eltern-Kidnappings und bat um eine Einschätzung Alfonsos. Ein Klick auf sofort senden – die Anfrage ging ihren Weg.
Voller Groll dachte Reuter wieder an Edgar. Sein Vater hatte ihm den älteren Bruder stets als leuchtendes Beispiel vorgehalten. Dabei war Edgar oft fies gewesen. Jetzt ließ er sich mit Gangstern ein – und wurde von der Staatsanwaltschaft gefeiert. Es war ungerecht.
Reuter entdeckte eine E-Mail, die Katja ihm vorgestern geschickt hatte. Seine Freundin hatte sich ihren Schulstress von der Seele geschrieben: Ärger mit dem Fachleiter Deutsch, der ihr als Referendarin nur schlechte Noten gab, und Zickenkrieg mit einer Kollegin, der sie beim Vorbereiten des Schulkonzerts half.
Er spürte ein schlechtes Gewissen. Vermutlich hatte Katja erwartet, dass er Anteilnahme bewies und sich abends einmal nach ihrem Job erkundigte.
Reuter wählte Katjas Handynummer. Eine aufgekratzte Frauenstimme meldete sich: Renate, die Mutter seiner Freundin – mit sechzig Jahren jeck wie nie.
Im Hintergrund Klaviergeklimper und Gelächter.
»Soll ich dir Katja geben?«, fragte Renate. »Sie und Edgar spielen gerade ein Ständchen. Vierhändig.«
»Nein, lass mal.« Er wunderte sich nicht darüber, dass Katjas Mutter seinen Bruder eingeladen hatte. Es ist Edgars Charme, dachte Reuter. Die Leute hören ihn gern reden.
»Schade, dass du nicht mitgekommen bist, Jan. Wir haben so viel Spaß! Dein Bruder bestellt eine Flasche Champagner nach der anderen. Er sagt, dass er ebenfalls etwas zu feiern hat.«
»Ach ja?«
»Der verrückte Kerl macht ein Geheimnis daraus. Morgen, sagt er, würde das ganze Land davon sprechen. Edgar macht uns ganz betrunken!«
Reuter wünschte Katjas Mutter weiterhin viel Spaß. Als er aufgelegt hatte, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, ihr zum Geburtstag zu gratulieren.
Er ärgerte sich über Edgar, der mal wieder den tollen Hecht spielte.
Es war ungerecht und passte hinten und vorn nicht.
Bleiben Sie dran an dieser Gemäldenummer.
Reuter schaltete das Deckenlicht ein, um es heller zu haben. Die Neonröhre flackerte
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