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Königsallee

Königsallee

Titel: Königsallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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werde weiterhin mit ganzer Kraft gefahndet. Der Kunstmarkt werde überwacht, man gehe jedem Hinweis auf mögliche Hintermänner des Raubs nach. Es sei unvorstellbar, dass ein Kunstwerk dieses Rangs nicht früher oder später wieder auftaucht. Lieber früher, so hofft man in der Kunstsammlung NRW, wo seit zwei Jahren eine empfindliche Lücke klafft.
1.
    Der Strick war am Dachbalken befestigt, die Schlinge drückte ihm die Luft ab. Er war zu schwach zum Schreien. Nur noch undeutlich bekam er mit, was die Eindringlinge mit seiner Frau und dem Kind anstellten.
    Und die Folterknechte gaben keine Ruhe. Vor Stunden schon waren sie in die Dachkammer gedrungen und hatten die Familie überfallen.
    Ihr Anführer war ein feister Mann mit kugelrundem Schädel. Das Haar streng gescheitelt, weißes Hemd, adrette Weste. Er bellte Befehle, ohne seine Pfeife aus dem Mund zu nehmen, packte den Arm des Familienvaters und kugelte mit einem Ruck das Schultergelenk aus.
    Ein großer Bursche mit grauer Mütze hielt Sarah zurück, das blonde Kind, das entsetzt seine Mutter anstarrte. Die halb nackte Frau hing mit gefesselten Händen an einem zweiten Seil, ihre Beine zum Spagat gespreizt. Der Schmerz hatte sie in Ohnmacht fallen lassen.
    Gaffer verharrten im Hintergrund. Ein Hund kroch unter den Tisch und winselte – der Einzige, der Mitleid zu empfinden schien.
    Es war Nacht. Keine Rettung weit und breit.
    Ein schreckliches Bild, dachte Jan Reuter. Was muss ein Maler erlebt haben, um so etwas auf die Leinwand zu bringen? Wie hoffnungslos muss er gewesen sein, um dem Grauen einen so kalten Ausdruck zu geben?
    Reuter wusste nicht, warum er das Kind in seiner Fantasie Sarah nannte. Vielleicht, weil er sich selbst ein Mädchen wünschte, das er so nennen würde.
    Aber nie dürfte es solche Qualen erleben.
    Er faltete den Farbausdruck und steckte ihn ein. Weil er mehrere Kopien zu Hause hatte, musste er nicht erst ins Präsidium fahren, bevor er sich mit der Vertrauensperson treffen würde. Er hatte dem Informanten das Bild bereits einmal gezeigt, aber er würde es immer wieder tun.
    Der Raub des berühmten Werks von Max Beckmann aus der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren wurde der organisierten Kriminalität zugeschrieben. Damit war Reuters Dienststelle dafür zuständig – das KK 22, dem er seit elf Monaten als Kriminaloberkommissar angehörte.
    Zwei Wachleute, junge Männer mit ukrainischem Pass, hatten eines Nachts das Putzpersonal bedroht und das Bild aus dem Rahmen geschnitten. Die Männer waren längst gefasst. Im letzten Herbst das Urteil: sechs Jahre Willich, bei guter Führung vermutlich vier. Die Räuber hielten dicht. Kein Wort über ihren Auftraggeber oder den Verbleib des Gemäldes.
    Reuter glaubte zu wissen, wer hinter dem Coup steckte: Manfred Böhr, stadtbekannter Inhaber von Diskotheken und Restaurants. Eine schillernde Figur aus guter Familie, mit Beziehungen und regelmäßiger Präsenz in den Klatschspalten der Presse – die Schreiberlinge bezeichneten ihn je nach Sympathie als »Partylöwen« oder »Düsseldorfer Original«.
    Insider kannten Böhr als Koksbaron. Das Pleasure Dome, in dem er die Puppen tanzen ließ, galt als Düsseldorfs Drogenumschlagplatz Nummer eins.
    Der Koksbaron gab sich als Kenner der Künste. Keine Vernissage ohne ihn. Galeristen verdienten sich dämlich an ihm. Akademieprofessoren verkehrten in seinen Lokalen. Und das Wachschutzunternehmen, in dem die Ukrainer gejobbt hatten, gehörte zu seinem Firmenimperium.
    Reuter war sich sicher: Sobald er das Gemälde fand, war Böhr geliefert. Dann würden ihm weder seine Gerissenheit helfen noch sämtliche Beziehungen. Auch nicht sein Geld, mit dem er korrupte Kollegen schmierte.
    Katja kam die Treppe heruntergestiefelt. Sie hatte sich schick gemacht für die anstehende Familienfeier und wich seinem Blick aus – es herrschte dicke Luft, aber Reuter konnte nichts daran ändern. Er hatte den Frühstückstisch gedeckt, inklusive Croissants und frisch gepresstem O-Saft. Mehr als dieses Friedensangebot war nicht drin.
    »Mama ist enttäuscht, auch wenn sie es am Telefon nicht zugibt«, murmelte Katja und rührte in ihrem Kaffee.
    Reuter reichte Katja den Brotkorb. »Croissants oder Vollkornbrot?«
    Auch die Fische im Aquarium bekamen Frühstück – mit einem Schnarren entließ der Futterautomat die programmierte Portion in das Becken.
    Seine Freundin schüttelte den Kopf. »Alle werden da sein, nur du hast plötzlich einen Termin. Mama hat die

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