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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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bannen. Nur Monsieur de Saint-Georges zog halb seinen
     Degen, aber als er sich damit allein sah, steckte er ihn wieder ein. Concinis entstelltes, blutiges Gesicht war schwarz vom
     Pulverdampf, von so nahe hatten ihn die Schüsse getroffen. Gereizt, daß der Leichnam immer noch saß, stieß Vitry ihn mit dem
     Fuß an. Er rollte seitwärts und fiel mit dem Gesicht auf die schmutzigen Planken der ›schlafenden Brücke‹. Bei diesem Fall
     löste sich eine Galosche, die Concini zum Schutz vorm Kot über seine Stiefel gezogen hatte, glitt unterm Brückengeländer hindurch
     und fiel in den Wehrgraben. Da sie mit der Sohle zuunterst gefallen war, sank sie nicht gleich, sondern trieb noch eine Weile
     auf dem schwärzlichen Wasser.
    * * *
    |453| Nachdem ich dies alles im Vertrauen auf die Berichte der Beteiligten erzählt habe, möchte ich, daß Sie, mein Leser, mich noch
     einmal ein paar Stunden zurückbegleiten: nämlich als ich um sieben Uhr früh zerschlagen, wenn ich so sagen darf, nach schlafloser
     Nacht den Weg zu den königlichen Gemächern nahm, weil ich mir denken konnte, wie bang und lang dieser Morgen des vierundzwanzigsten
     April für Ludwig werden würde.
    Im Vorzimmer traf ich auf den jungen Berlinghen, der völlig angekleidet auf einem Schemel schlief.
    »Was macht Ihr hier?« fragte ich und rüttelte ihn.
    »Seine Majestät hat mich heute nacht aus seiner Kammer geschickt: ich habe zu laut geschnarcht.« Und mit seiner üblichen Einfalt
     setzte er hinzu: »Das kommt davon, wenn man einen Herrn hat, der schlecht schläft: er hört einen.«
    »Schläft er so schlecht?«
    Berlinghens lockiger Blondkopf nickte.
    »Und das Schlimme ist, wenn er schon mal schläft, dann redet er im Schlaf. Wahr und wahrhaftig, wenn er nicht der König wär,
     würde ich sagen, er stört mich.«
    »Woran merkt Ihr, daß er im Schlaf spricht?«
    »Die Stimme klingt anders.«
    In dem Moment hörte man besagte Stimme aus dem Schlafgemach, aber es war nicht die eines Schläfers, sondern die gebieterische
     und ungeduldige eines sehr wachen jungen Mannes.
    »Berlinghen, wer ist da?«
    »Monsieur de Siorac, Sire.«
    »Berlinghen, geh Monsieur de Luynes und Doktor Héroard holen, sie sollen gleich eintreten, Monsieur de Siorac auch.«
    »Sofort, Sire«, sagte Berlinghen, der aber keine Anstalten machte, sich von seinem Schemel zu erheben.
    »Hörst du nicht! Lauf!«
    »Ja, Sire«, sagte Berlinghen und ließ seinen Schemel absichtlich umfallen, als er sich auf die Füße stellte, um durch den
     Lärm zu zeigen, wie geflissentlich er seinem Herrn gehorchte. Aber nach zwei Schritten durchs Vorzimmer fiel er in seinen
     schlürfenden Gang zurück.
    Ich hatte nach dem Aufstehen nicht frühstücken können, Magen und Kehle waren mir wie zugeschnürt, und nun fühlte |454| ich mich ein bißchen schlapp, mit weichen Knien und nebligem Kopf. Ich hob den Schemel auf und setzte mich, stützte den Kopf
     in die Hände und dachte an meine Gräfin und meinen Vater, denen ich kein Sterbenswörtchen von unserem Vorhaben verraten hatte.
     Ich fragte mich, ob ich sie jemals wiedersehen würde, ob ich nicht meine letzten Stunden in Freiheit erlebte, vielleicht meine
     letzten überhaupt, denn wenn unser Plan scheiterte, würde Concini gnadenlos Rache nehmen, soviel war mir klar. Und während
     ich daran dachte, wurde mir dies, wer weiß wieso, überaus wahrscheinlich: ich sah mich schon mit dem Kopf auf dem Richtblock,
     Schweiß rann mir den Rücken hinab, und ich schwebte, wenn auch halb duselnd, in Todesängsten, als Déagéant eintrat.
    »Herr Chevalier!« sagte er, »Ihr schlaft! Ihr könnt schlafen mitten in höchster Gefahr? Ach ja, jung und unbekümmert müßte
     man sein!«
    Ich war so froh, daß Déagéant sich in dem Maße über mich täuschte, daß ich aufsprang und ihm einfach um den Hals fiel. Bescheiden
     und seines Ranges peinlich eingedenk, wie er war, überraschte ihn meine Herablassung, trotzdem erwiderte er meine Umarmung,
     die er, wette ich, meiner Jugend ebenso zugute hielt wie die Sorglosigkeit, die er mir zuschrieb.
    »Sioac«, rief die Stimme des Königs, »wer ist da?«
    »Monsieur Déagéant, Sire.«
    »Er soll mit eintreten, wenn Luynes und Héroard da sind.«
    »Ja, Sire.«
    Wie jedesmal, wenn Ludwig mich wie in seiner Kinderzeit ›Sioac‹ nannte, erbebte ich vor großer Liebe zu ihm und verspürte
     einige Scham, an Bastille und Schafott gedacht zu haben, während ich doch mein Leben im Vergleich zu dem meines

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