Königskind
Vitry, was
schlagt Ihr vor?«
* * *
Schöne Leserin, wenn Sie in einer unserer schönen Provinzen leben und noch nie den Fuß in den Louvre gesetzt haben, können
Sie Vitrys Plan nur verstehen, wenn Sie wissen, wie man in den Palast gelangt. Natürlich könnte ich Sie bitten, es auf den
ersten Seiten des siebenten Kapitels dieser Memoiren nachzulesen. Weil ich Sie aber keineswegs verärgern will, möchte ich
Ihnen die wenn auch geringe Mühe ersparen, zurückzublättern, und Ihnen kurz darlegen, wie es damit steht.
|449| Man betritt den Louvre durch die sogenannte ›Große Porte de Bourbon‹, die zwischen zwei dicken runden, altertümlichen Wehrtürmen
liegt. Werden Ihnen die Flügel der Großen Porte de Bourbon aufgetan – und ihr greuliches Quietschen wird Ihre hübschen Ohren
foltern –, befinden Sie sich auf einer feststehenden Holzbrücke, ›schlafende Brücke‹ genannt (so geheißen, laut La Surie,
weil sie nicht geweckt werden kann, um sich zu erheben). Diese Brücke ist fünf Meter breit und überspannt den Wehrgraben –
ein ekliges schwärzliches Wasser, vor dem die beiden Brückengeländer Sie schützen. Wenn Sie Ihren Weg fortsetzen wollen, müssen
Sie über zwei nebeneinanderliegende Zugbrücken, eine breite oder eine schmale. Die breite, die aber nur breit genug für eine
Karosse ist, führt Sie durch einen gewölbten Torweg wiederum vor ein Kutschentor und eine Fußgängerpforte. Diese nun erlaubt
als einzige, die Ankommenden einzeln zu kontrollieren, und heißt darum der ›Schalter‹; Sie gelangen zu ihm auch über die schmale
Hängebrücke, die man das ›Brettchen‹ nennt. Wenn Sie zu Fuß sind und das Kutschentor geschlossen ist, kommen Sie über das
›Brettchen‹ zum ›Schalter‹, den Ihnen der Gardehauptmann auf Ihr schönes und gutes Gesicht hin sicherlich öffnet.
* * *
Hier nun der Plan, den Vitry dem König entwickelte: Bevor Concini am Louvre eintrifft, wird das Kutschentor im Torweg geschlossen,
nur der ›Schalter‹ bleibt offen. Und sowie Concini über die ›schlafende Brücke‹ hereingekommen ist, schließt man hinter ihm
die Porte de Bourbon, so daß er von seinem Gefolge getrennt ist. Nun befindet er sich zwar nicht in einer Mausefalle, weil
ja der ›Schalter‹ offen bleibt, aber auf schmalem Raum, wo diejenigen seines Gefolges, die gleichzeitig mit ihm auf die ›schlafende
Brücke‹ gelangt sind, sich ziemlich dicht beieinander bewegen. Selbst wenn es mehr sein sollten als die zwanzig Mann, über
die Vitry verfügt, bleibt ihnen kaum Platz, den Degen zu ziehen, was ihnen gegen die Pistolen der Angreifer außerdem wenig
nützen würde.
Keiner von uns erhob Einspruch gegen diesen neuen Plan, so lückenlos dünkte er uns. Und hätte es uns gejuckt, ihn zu bestreiten,
hätten wir es doch nicht gekonnt, denn kaum hatte |450| Vitry ihn dargestellt, billigte ihn der König auch schon entschieden und nannte ihn vortrefflich in allen dargelegten Punkten.
Nun hieß es nur noch warten. Und Gott weiß, wie lang uns dieses Warten wurde – den ganzen übrigen Nachmittag, und die Nacht,
und den nächsten Morgen. Seltsamerweise, und dies erschien uns wie ein gutes Omen – denn in jedem Vorhaben, das einem am Herzen
liegt, wird man ungewollt abergläubisch –, setzte am Montag, dem vierundzwanzigsten April, der Regen, der seit dem Ersten
des Monats ununterbrochen niedergegangen war, plötzlich aus, so daß es uns verwunderte, sein greuliches Geplätscher nicht
mehr zu hören.
Vitry, ein schlichter, ganz der Tat gehöriger Mann, freute sich ebenfalls, daß der Regen aufgehört hatte, aber aus einem praktischen
Grund: wenn die Zündschlösser nicht feucht wurden, feuerten die Pistolen schneller. Und er ergriff verschiedene Maßnahmen,
die zeigten, daß ein Kriegsmann alles bedenken muß, auch das Unvorhersehbare. Anstatt seine Befehle, die Porte de Bourbon
betreffend, durch einen Gardisten an Monsieur de Corneillan überbringen zu lassen, der sie womöglich falsch oder mißverständlich
ausrichtete, machte er sich die Mühe, den Edelmann selbst aufzusuchen.
Die Große Porte de Bourbon konnte tatsächlich von den Schützen der Vogtei nur auf ausdrücklichen Befehl des Torhauptmanns
oder seines Leutnants geöffnet oder geschlossen werden, der wiederum nichts ohne Abstimmung mit dem Gardehauptmann tun konnte,
in diesem Fall Monsieur de Vitry. Da an diesem vierundzwanzigsten April Monsieur de Corneillan in
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