Königskind
uns auch nicht eines Hauchs von Freundschaft verdächtigen können: sonst zöge Euer Sturz den meinen
nach sich oder der meine den Euren.«
»Monsieur«, sagte ich verblüfft, daß ein Mann, den ich sehr liebte, mich derweise zurechtwies, »könnt Ihr mir nicht wenigstens
sagen, vor wem ich mich in seiner Umgebung am meisten in acht nehmen muß?«
»Selbst das ist zuviel gefragt!« sagte Héroard ziemlich barsch. »Haltet die Augen offen.«
Und mit einem zeremoniösen Gruß ging Héroard davon.
Ich betrat meine kleine Wohnung im Louvre, in ihrer Kahlheit kam sie mir ebenso verlassen vor wie ich selbst. Ich setzte mich
aufs Bett, legte den Kopf in die Hände, und ich muß gestehen, daß ich mich zuerst von Ludwigs eisigem Empfang und dann noch
von der Standpauke Héroards so tief geknickt fühlte, daß ich in Tränen ausbrach.
Als ich mir die peinliche Szene, der ich in den königlichen Gemächern beigewohnt hatte, aber noch einmal vor Augen führte,
fiel mir auf, daß Ludwig es trotz seiner Verzweiflung über sich gebracht hatte, nicht zu weinen. Ich war beschämt, weniger
Stärke zu beweisen als ein Knabe, der noch keine zehn Jahre war, trocknete meine Augen und beschloß, mein Gesicht künftig
hinter der undurchdringlichen Maske eines alten Diplomaten zu verstecken.
Das Wort ›undurchdringlich‹ gefiel mir. Ich fand es beeindruckend. Mehrmals sprach ich es laut vor mich hin, um mich in meinem
Entschluß zu bestärken. Und während ich mit tiefem Ernst in meinen venezianischen Spiegel schaute (mein derzeit einziges Möbel
außer dem Bett), versuchte ich mir jenen Ausdruck zuzulegen, der dem Wort, das ich mir vorsagte, entsprach.
Die Mienen, die ich in meinem Wunsch nach Vervollkommnung nacheinander ausprobierte, lenkten mich schließlich von meinem Kummer
ab. Ich fand meine Munterkeit wieder, meine guten Geister, und auch meinen Appetit. Ich beschloß, nach Hause zu fahren und
dort Mittag zu essen. Und während ich festen Schrittes durch das Labyrinth des Louvre eilte, hatte ich das Gefühl, daß ich
Korridore und Treppen mit meiner neuen Unerschütterlichkeit in Erstaunen versetzte. Himmel, war ich damals jung!
[ Menü ]
|99| VIERTES KAPITEL
»Söhnchen«, sagte Madame de Guise, als sie endlich Zeit fand, meine neue Wohnung im Louvre zu besichtigen, »in dieser Kahlheit
könnt Ihr nicht länger leben. Man würde Euch Pfennigfuchser, Hungerleider, Geizkragen und was weiß ich schimpfen. Knauserei
am Hof tötet einen Edelmann sicherer als ein Degenstoß. In Eurem Empfangskabinett braucht Ihr mindestens Gardinen an den Fenstern,
flandrische Tapisserien an den Wänden, einen Orientteppich auf dem Fußboden, zwei, drei hübsche Truhen und ein Halbdutzend
Lehnstühle. Ich werde Réchignevoisin sagen, er soll auf unseren Böden nachsehen und Euch das alles binnen acht Tagen einrichten.
Ah, nicht doch! Nicht doch! Bedankt Euch nicht. Das ist bei mir alles ausgemusterter Kram! Aber es ist noch sehr gut erhalten,
ich wechsele in meinem Hôtel de Grenelle doch alle zwei Jahre die Ausstattung. Und sputet Euch, daß Ihr Euch ein Gesinde schafft,
wie es Eurem Rang gebührt. Hört Ihr?«
»Ich bin ganz Ohr, Madame, und wie gewöhnlich auch ganz Auge, und sei es nur, um das Blau Eurer Vergißmeinnichtaugen zu bewundern.
Mein Vater meint, ich soll Louison für meinen Haushalt und meine Küche anstellen.«
»Und für Eure Siesta … Oh, Söhnchen, nun werdet bloß nicht rot! Und kommt mir nicht scheinheilig. Louison, na gut. Aber Ihr
braucht auch einen Reitknecht.«
»Einen Reitknecht, Madame?« sagte ich staunend.
»Braucht Ihr etwa keinen, der Euer Pferd sattelt und Euch begleitet, wenn Ihr bei dem Marquis de Siorac oder bei mir speist?«
»Viel hätte der Reitknecht nicht zu tun.«
»Und einen Lakaien.«
»Einen Lakaien auch noch, Madame?«
»Wollt Ihr selbst die Tür öffnen, wenn Besuch kommt?«
»Nur dafür einen Lakaien? Beim Himmel! Der stürbe nicht an Erschöpfung.«
|100| »Hier geht es nicht um Erschöpfung«, sagte die Herzogin, und ihre blauen Augen funkelten schwarz, »sondern um Euren Rang!«
»Madame«, sagte ich mit einer Verneigung, »bitte, zankt nicht mit mir. Ich will ja alles tun, was Ihr befehlt.«
»Und außerdem einen Pagen, Monsieur. Und sucht Euch einen flinken, aufgeweckten, möglichst hübschen und aus gutem Hause, denn
wie der Page, so der Herr, sagt man. Söhnchen, ich verlasse Euch, ich werde bei der Königin erwartet.«
Noch einmal
Weitere Kostenlose Bücher