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Königskind

Königskind

Titel: Königskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Monsieur de Souvré zu Ludwig und sagte, man müsse ihn jetzt ankleiden, um
     zur Hohen Messe in die Kirche Notre-Dame zu fahren.
    |96| »Ach, nein, Monsieur de Souvré«, sagte Ludwig mit ganz anderem Gesicht, »bitte nicht.«
    »Und warum nicht, Sire?«
    »Weil es Montag ist, und montags auch noch eine Hohe Messe, das ist zuviel!«
    »Aber, Sire«, sagte Monsieur de Souvré, »es gibt Musik, und die liebt Ihr doch sehr.«
    »Aber Musik«, sagte Ludwig sehr ungehalten, »gibt es zwei Sorten, und diese da liebe ich gar nicht.«
    »Es ist ausgemacht, Sire, Ihr geht!« sagte Monsieur de Souvré, indem er sich mit tiefstem Respekt verneigte.
    »Monsieur de Souvré«, versetzte Ludwig mit banger Miene, »gehe ich auch zur Vesper?«
    »Sicher, Sire, bei den Augustinern.«
    »Bei den Augustinern, Monsieur de Souvré! Aber dort dauert die Vesper zwei Stunden!«
    Ich beobachtete Ludwig, während alle Züge seines Gesichtes lang und länger wurden vor Verzweiflung über diesen Zeitplan am
     Montag. Drei Stunden Hohe Messe in Notre-Dame! Und nach der Mittagsruhe zwei Stunden Vesper bei den Augustinern!
    »Sire«, sagte Monsieur de Souvré feierlich, »der sehr christliche König kann sich im Hause Gottes nicht langweilen …«
    Hierauf erwiderte Ludwig nichts. Mit gesenkten Augen, zusammengebissenen Zähnen und dem Kinn auf der Brust, verharrte er zwischen
     Kummer und Zorn.
    Diesen Augenblick wählte der Großkämmerer (aber ehrlich gesagt, er hatte gar keine Wahl), mich Seiner Majestät zu präsentieren.
    »Sire«, sagte er mit tiefer Verbeugung, »ich möchte Euch den Nachfolger des Marquis de Saint-Régis vorstellen: Herrn Chevalier
     de Siorac.«
    Ludwig hob den Kopf und betrachtete mich mit dumpfer Miene, während ich vor ihm niederkniete und ihm die Hand küßte, die er
     mir reichte.
    »Seid willkommen, Monsieur de Siorac«, sagte er, aber völlig lustlos und fast, als sähe er mich zum erstenmal.
    Ich war niedergeschmettert durch diesen Empfang, und wärend ich aufstand, mich aufs neue verneigte und drei Schritte zurücktrat,
     wie es das Protokoll verlangte, erwartete |97| ich, daß er nunmehr das Wort an mich richten werde, um ihm das geziemende Kompliment zu machen. Aber er wandte sich ab, und
     mit verschlossener Miene rief er seine Leute zum Ankleiden. Ich wußte, offen gesagt, nicht, was ich mit mir anfangen sollte,
     und in meiner Ratlosigkeit weiter zurückweichend, geriet ich unversehens an die Stelle, wo Héroard stand. Aber auch da fand
     ich wenig Ermutigung, denn Héroard gab mir nicht das mindeste vertrauliche Zeichen. Andererseits wagte ich nicht, den König
     um Urlaub zu bitten, bevor er zur Messe nach Notre-Dame aufbrach. Was er nach einigen Minuten, die mir sehr lang vorkamen,
     tat, vor sich den Großkämmerer, hinter sich Monsieur de Souvré, Monsieur de Préaux, Bellegarde und die Hauptleute.
    Sowie sie hinaus waren, verneigte sich der Erste Kammerdiener, Monsieur d’Auzeray, vor mir und sagte: »Herr Chevalier, wenn
     Ihr gehen wollt, laßt es mich wissen, ich begleite Euch die Treppe hinab.«
    »Monsieur«, sagte ich, ziemlich erstaunt über diese Höflichkeit, »ich danke Euch, aber macht Euch bitte nicht die Mühe.«
    »Herr Chevalier«, sagte d’Auzeray betreten, »das Protokoll verlangt, daß die Ersten Kammerherren nicht nur bis zur Tür, sondern
     die Treppe hinunter begleitet werden.«
    »Monsieur d’Auzeray«, sagte nun Héroard, »erlaubt, daß ich den Chevalier an Eurer Statt begleite, denn ich gehe auch.«
    »Ehrwürdiger Herr Doktor«, sagte d’Auzeray mit einer Verneigung, »habt tausend Dank. Herr Chevalier, Euer Diener.«
    Die Tür schloß sich hinter uns. Im Gehen raunte Héroard mir zu, ohne aber wie sonst meinen Arm zu nehmen: »Seid nicht betrübt.
     Der Ärmste war außer sich und gab sich alle Mühe, es zu verbergen. Versucht zu begreifen, wie es um ihn steht. Die Tage sind
     so kurz im November, und er ist so gern in Bewegung, an der Luft, im Wald! Er hatte sich vorgenommen, zu jagen. Statt dessen
     muß er die einzigen hellen Tagesstunden in der dunklen Kirche sitzen.«
    »Fünf Stunden!« sagte ich leise, »fünf endlose Stunden Gottesdienst! Wer verlangt, daß man ihn derart knebelt?«
    »Stellt bitte nicht solche Fragen«, versetzte Héroard. »Wenn Ihr hier überleben wollt, legt einen Ochsen auf Eure Zunge, und
     wenn Ihr einmal dabei seid, heißt gleich noch Eure Blicke schweigen: sie sprechen zu laut! Und, bitte, wahrt auch mir |98| gegenüber Abstand! Man darf

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