Köpfe
bergen, was sie einst gedacht haben. Ohne ein einziges eingefrorenes Neuron zu beschädigen. Wir schaffen das schneller als irgend jemand auf der Erde – oder sonstwo.«
Ich blickte sie nicht einmal mit brüderlichem Respekt an. »Mist!« sagte ich.
»Schaufle deinen eigenen Mist, Micko. Ich meine es ernst. Die Köpfe kommen. Ich habe im Namen des MB Sandoval einen Lagervertrag unterschrieben.«
»Du hast einen MB-Vertrag unterschrieben?«
»Ich bin befugt dazu.«
»Wer sagt das? Herrje, Rho, du hast mit niemandem darüber gesprochen…«
»Es wird der größte anthropologische Coup in der Mondgeschichte sein. Vierhundertzehn terrestrische Köpfe…«
»Totes Fleisch!« unterbrach ich sie.
»Fachmännisch tiefgekühlt. Allenfalls geringfügiger Verfall.«
»Niemand ist scharf auf Eisleichen, Rho…«
»Ich mußte gegen eine Konkurrenz von vier anderen Anthropologen bieten, drei vom Mars und einer von den Kleinen Planeten.«
»Bieten?«
»Ich habe den Zuschlag bekommen«, sagte sie.
» Dazu bist du ganz bestimmt nicht befugt.«
»Doch. Nach der Familienerhaltungs-Charta. Du kannst es nachlesen. ›Alle Familienmitglieder und rechtmäßigen Erben und – etcetera etcetera – freie Hand, sinnvoll Ausgaben zu tätigen zur Erhaltung der Sandoval-Aufzeichnungen und des Sandoval-Erbes sowie zur Erhaltung des Ansehens und des Vermögens aller nachweislichen Erben.‹«
Ich konnte ihr nicht folgen. »Wie bitte?«
Ihre triumphierende Miene hatte etwas Fleischfressendes.
»Robert und Emilia Sandoval«, sagte sie. »Sie sind auf der Erde gestorben. Erinnerst du dich? Sie waren eingeschriebene Mitglieder bei Star Time.«
Mir sackte das Kinn herunter. Robert und Emilia Sandoval, unsere Urgroßeltern, der erste Mann und die erste Frau, die sich auf dem Mond geliebt hatten; neun Monate später wurden sie zum ersten Elternpaar auf dem Mond, indem sie unsere Großmutter Deirdre zur Welt brachten. Gegen Ende ihrer mittleren Jahre kehrten sie zur Erde zurück, nach Oregon in den alten Vereinigten Staaten, und ließen ihr Kind auf dem Mond zurück.
»Sie wurden Mitglieder der StarTime Konservierungs-Gesellschaft. Wie so viele berühmte Leute«, sagte sie.
»Na und…?« fragte ich und wartete darauf, daß mein Erstaunen auf den Höhepunkt getrieben würde.
»Sie befinden sich bei diesem Lieferposten. Das hat die Gesellschaft garantiert.«
»Ach, Rhosalind «,jammerte ich, als ob sie mir gerade eröffnet hätte, daß jemand gestorben sei. Ich empfand das schrecklich hohle Gefühl eines düsteren Schicksals. »Und jetzt kommen sie zurück?«
»Keine Sorge«, beruhigte sie mich. »Niemand weiß davon außer der Geschäftsführung der Gesellschaft und ich, und jetzt auch du.«
»Urgroßpapa und Urgroßmama«, sagte ich.
Rho setzte jenes Lächeln auf, bei dem ich stets den Drang verspürte, ihr eine Ohrfeige zu geben. »Ist das nicht herrlich?«
WILLIAM STAMMTE AUS EINER MONDFAMILIE, die keinen Bund geschlossen hatte, den Pierces vom Copernicus Forschungszentrum Drei. Eine Mondfamilie bestand auch damals nicht einfach aus den Kindern desselben Paares von Mutter und Vater, sondern aus engen Verbindungen von Siedlern, die unter einer gemeinsamen Patenschaft standen und die sich auf der Mondoberfläche in neu errichteten Gehegen emporarbeiteten und im Laufe des Grabens neuer Höhlen weitere Kinder und mehr Lebensraum hinzufügten. Einzelwesen behielten normalerweise ihren eigenen Nachnamen bei oder legten sich einen zu, erhoben jedoch Anspruch auf Zugehörigkeit zur Zentralfamilie, selbst wenn alle Mitglieder der Zentralfamilie gestorben waren, wie es manchmal geschah.
Genau wie unsere eigene Familie, die Sandovals, gehörten die Pierces zu den fünfzehn ursprünglichen Familien, die sich 2019 auf dem Mond niedergelassen hatten. Die Pierces waren ein merkwürdiger Haufen, wie inoffizielle Geschichten überlieferten – eigenbrötlerisch und nicht willens, sich mit den neueren Siedlern zusammenzutun. Die Urfamilien – Primas genannt – verbreiteten sich auf dem Mond, schlossen und brachen Bündnisse und vereinigten sich nach und nach unter dem Druck von der Erde zu den Finanzgruppen, die später Multiple Bünde genannt wurden. Die Pierces schlossen sich keiner der neu ins Leben gerufenen Bünde an, obwohl sie sich zu lockeren Interessengemeinschaften mit anderen Familien zusammentaten.
Familien ohne Bund gediehen nicht. Die Pierces verloren immer mehr an Einfluß, obwohl sie zu den Primas gehörten. Endgültig
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