Körper-Haft (German Edition)
Holo-Flat-Pad anfordern. Es wird dann automatisch mit dem kleinen Roboterarm zur linken Seite Ihres Kopfes in Ihren Mund geführt. Wir wollen schließlich mit so wenig Personal wie möglich auskommen. Dieses Pilotprojekt lebt letzten Endes von der Effizienz. Also halten Sie durch! Und sollten Sie in einer schwachen Minute an Ihrem Entschluss für BSS Zweifel haben, verzagen Sie nicht! Denn der Glaube, der wahre Glaube, gibt Ihnen die Kraft und versetzt Berge.«
Effizienz und Glaube – diese Kombination erschien mir aberwitzig skurril.
»Ach übrigens: Noch ein kleines Wunder, wenn auch ein rein technisches … Falls Sie sich wundern, dass Sie den Ton des Holo-Flat-Pads ihres Nachbarn nicht hören. Die Zimmerdecke über jedem einzelnen Bett ist als superflache Schallglocke ausgeformt, die ein Interferenz-Tonsignal parallel zur ihrem gewählten Ton aussendet. Dadurch werden die Schallwellen gegenseitig aufgehoben und sind für Außenstehende nicht hörbar. Es entsteht so eine Art Vorhang der Stille. So oder so ähnlich hat man mir das jedenfalls erklärt. Kurz, alles was Sie über Ihr Holo-Flat-Pad hören, kann außerhalb Ihres Bettes nicht gehört werden. Ist das nicht toll?«
Ich hatte diese Technik schon in einer höllisch lauten Gesenkschmiede erleben dürfen und war von dieser Art von kleinen isolierten und völlig geräuscharmen Gesprächsinseln völlig begeistert. Dass ich jetzt inmitten einer solchen Schallinsel lag, beeindruckte mich wirklich.
»Falls Sie trotz dieser tollen und mannigfaltigen Infotainmentmöglichkeiten ein paar warme Worte benötigen, klicken Sie einfach nur auf das Kruzifix am rechten oberen Bildrand und ich komme so schnell wie möglich. Ansonsten können Sie natürlich auch die speziell für Sie abgestellten Pfleger Jonas Mengele und Daniel Becker mit dem roten Kreuz direkt unter dem Kruzifix rufen. Routinemäßig kommen Sie immer freitags, da ist Waschtag! Während der Nachtwache stehen weitere Pfleger beziehungsweise Aufseher für Sie zur Verfügung, die allerdings in Ihren Schichten unregelmäßig rotieren und aus dem anderen Gefängnistrakt herüberkommen müssen. Machen Sie sich keine Gedanken um ihr körperliches Wohlergehen. Doktor Gregor wird sie turnusmäßig untersuchen. Darüber hinaus werden alle ihre Vitalfunktionen rund um die Uhr über ihre persönlichen Vitalometer gescannt. Alles andere was Sie für Ihren Aufenthalt hier wissen müssen, werden Sie sicherlich selbst herausfinden!«
Freitag ist Waschtag – das erinnerte mich an meine Großmutter, die mir mal erzählt hatte, wie die gesamte fünfköpfige Familie immer freitags den Inhalt einer Badewanne kollektiv genutzt hatte. Ich schüttelte mich innerlich. Waschen und im speziellen Körperreinigung sah für mich anders aus.
»Im Übrigen muss ich noch einmal in aller Deutlichkeit herausstellen, in welch privilegierter Lage Sie sich befinden. Sie liegen in der vermutlich am besten ausgestatteten Gefängniszelle der Welt, eigentlich eher ein Gefängniszimmer. Sie bekommen die neueste Technik zur Verfügung gestellt. Sie können den ganzen Tag lang lernen, wie Sie ein wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft werden. Sie bleiben beim Freigang von Gefängnisschlägereien verschont. Übergriffe anderer Häftlinge, Drogenkonsum, Drogenhandel, die dazugehörige Beschaffungskriminalität – all das ist zu 100 % unterbunden. Sie können niemanden verletzen oder gar töten. Und« – das schien ihm besonders wichtig zu sein – »Sie sind nachhaltig geschützt vor der Verunreinigung des Geistes durch Selbstbefleckung!«
Ausgerechnet dieser bigotte Bruder sprach vom Schutz des Geistes vor Selbstbefleckung!
»Vielleicht haben Sie sich gefragt, wieso ich diese ganze Einleitung mache? Nun, Sie alle liegen mir am Herzen und da sich sonst niemand großartig um Sie kümmern wird, dachte ich, es wäre eine gute Idee, uns schon einmal kennenzulernen. Übrigens werde ich einmal pro Woche zu Ihnen kommen, um die Werkseinstellungen Ihres Holo-Flat-Pads wieder zurückzusetzen. Ich möchte Ihnen immer wieder die Chance geben, über die einzige und richtige Religion nachzudenken …«
Als Bruder Martin schon an der Tür stand, drehte er sich nochmals um, kam zu mir ans Bett und meinte: »Ach Herr Schirmer, ich habe mit großem Bedauern in Ihrer Akte gelesen, dass Sie als Einziger keine Religionszugehörigkeit angegeben haben. Ich nehme an, dass Sie Atheist sind? Also ein armes, orientierungsloses Schäfchen, das nicht weiß, was es
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