Körper-Haft (German Edition)
der gleichen Adresse wohnte.
Dennoch wollte ich mich nicht an den Platz in meiner Erinnerung bringen, um nicht das Risiko einzugehen, wieder in der Vergangenheit herauszukommen. Ich wollte vorsichtiger sein und das Umfeld vorher genau sondieren. Ich suchte mir über das Internet mehrere Webcams aus, die in der Nähe seiner Wohnung lagen, und beobachtete die Lage zu unterschiedlichen Tageszeiten, um einen möglichst unbelebten Zeitpunkt auszukundschaften. Schließlich hatte ich den idealen Ort und das ideale Zeitfenster für meinen Ausflug gefunden. Ich merkte mir das aktuelle Bild, das mir die Webcam anzeigte, und begab mich auf die Zwischenebene, von wo aus ich mich sofort an mein eigentliches Ziel blinzelte.
Es war bereits Nacht. Laut der letzten Zeitanzeige der Webcam musste es kurz nach 24:00 Uhr sein. »Geisterstunde«, dachte ich und grinste in mich hinein. Die Wohnung von Mike war gerade einmal zweihundert Meter entfernt. Ich war ganz schön aufgeregt. Ich wusste ja überhaupt nicht, was mich erwarten würde.
Als ich durch die Agentur gegeistert bin, war das ja irgendwie, wie … heimkommen. Das war meine Agentur – mein zuhause. Zumindest war es das einmal. Aber jetzt in die Wohnung von Mike zu gehen, versetzte mich in das Gefühl, einen Einbruch zu begehen. Was es im Grunde ja auch war! Nur ohne Brecheisen oder irgendwelche Fenster einzuschlagen.
Das ist vermutlich der Unterschied zwischen Einbrechen und Eindringen. Das eine ist gewaltsam, das andere geschah ohne aktiven Widerstand! Und wenn es einen Widerstand gab, dann war er in meinem Kopf! Eine Blockade, die mir das Herz in die Hose rutschen ließ. Meine Schritte hatten mich schon automatisch vor den Hauseingang getragen.
Mein Herz pochte und ich dachte: »Ist das wirklich so ’ne tolle Idee?! Was in drei Teufels Namen soll ich dort finden?« Doch bevor meine Zweifel meine Füße am Trottoir festtackern konnten, durchlief mich ein Ruck und ich lief wie ferngesteuert los. Direkt durch die Tür, dann ging ich am Aufzug vorbei und die Treppe hinauf. Fünf Stockwerke später stand ich vor dem Eingang zu seiner Penthouse-Wohnung.
Ich erinnerte mich noch sehr bildhaft an das erste Mal, als ich hier war. Mike hatte damals die gesamte Crew der Agentur zur Einweihung eingeladen. Ich hatte mich damals gefragt, wie er sich diese Bude wohl leisten konnte, danach aber keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Er machte damals eine klassische Burgführung und zeigte seine vollen 150 Quadratmeter mit dem Stolz eines notorischen Angebers. Ich war damals mehr als irritiert gewesen, als er uns als ersten Besichtigungspunkt sein geräumiges Schlafzimmer zeigte.
Alle 25 Mitarbeiter passten hinein, ohne irgendwie gedrängt zu stehen. Dennoch schauten alle irgendwie verschämt an die Decke. Ich weiß noch, dass Sunny ihn fragte: »Sag mal, warum hast Du eigentlich den Rauchmelder so eigenartig über dem Bett platziert! Der ist ja irgendwie völlig außerhalb jeden grafischen Empfindens!«
Mike fuhr sich mit der Hand ins weit aufgeknöpfte Hemd und strich mit seinen Fingern durch seine Brustbehaarung, dass es mich innerlich schüttelte.
Er stellte Sunny eine Gegenfrage: »Weißt Du, wie man physikalisch Arbeit definiert?« Ein irritiertes »Hä?!« durchzuckte uns, als er sich bereits schon selbst dreckig grinsend die Antwort gab: »Na, wenn’s im Schlafzimmer nach verbranntem Gummi riecht! Deshalb der Rauchmelder, Sunny – ich will ja wissen, wann’s brenzlig wird! Hähä!« Er brach in solch ein dreckiges Lachen aus, das vermutlich selbst einen Zuhälter noch hätte rot werden lassen. Ich glaube, es war niemand unter uns, dem nicht das Blut ins Gesicht geschossen war. Sei es wegen der Vorstellung an sich oder weil man sich ins Fremdschämen geflüchtet hatte.
Ich stand immer noch vor der Eingangstür seiner Penthouse-Wohnung. Die Erinnerung ließ mich frösteln. Aufmerksam horchte ich an der Einganstür. Das letzte, was ich wollte, war mit Mike zu kollidieren. Zum einen ekelte mich alleine die Vorstellung, zum anderen wollte ich ihm durch einen Kontakt nichts von meinem Plan verraten. Und ausgerechnet seine widerlichen Gedanken in meinem Kopf zu haben ließ mich schaudern. Von innen drangen gedämpfte Stimmen zu mir.
Ich kämpfte mit mir, ob ich wirklich durch die Tür gehen sollte oder nicht. Noch konnte ich mich jederzeit umdrehen, oder mich sogar in Nullkommanichts in meinen Körper im Gefängnis zurückziehen. Die Versuchung war groß, einfach davon zu
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