Kohärenz 01 - Black*Out
können. Deswegen lehnten sie höflich, aber bestimmt ab, als ein gewisser Richard Bryson, ein bekannter Unternehmer und Filmproduzent, sie aufstöberte und Interesse bekundete, Christophers Geschichte zu verfilmen. Er bot auch viel Geld an, aber sie lehnten trotzdem ab.
Da Mutter nun zu Hause bleiben musste, sah Vater sich in der Pflicht, einen Job zu suchen. Als er nach einigen anfänglichen Misserfolgen auf eine obskure Anzeige antwortete, kam er mit einer ebenso obskuren kleinen Softwarefirma in Kontakt, die gerade einen Programmierer suchte, und zwar für ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät der Londoner Universität in Angriff genommen werden sollte und das, wie der Zufall so spielt, zum Ziel hatte, den Bau besserer Prothesen zu ermöglichen.
Geleitet wurde das Projekt von Stephen Connery, einem Neurologen und Hirnchirurgen. Dr. Connery war ein sympathischer Junggeselle, der nur zwei Leidenschaften kannte: die Arbeit im Labor – und die freie Natur. Sein Büro glich einem Wald, so viele Topfpflanzen hatte er darin stehen, und er unternahm fast jedes Wochenende eine Wandertour mit Zelt und Rucksack, selbst bei Regen und Sturm.
Dr. Connery hatte im Labor gerade zum ersten Mal erfolgreich Neuronen – Gehirnzellen also – mit elektronischen Schaltkreisen gekoppelt. Diese Technik wollte er dahin gehend weiterentwickeln, dass man solche sogenannten neuroelektronischen Schnittstellen künftig in Prothesen einbauen konnte, um etwa die Motoren eines künstlichen Armes über genau diejenigen Nerven zu steuern, die vor dem Verlust des echten Armes dessen Muskeln gesteuert hatten. Auch sollte es diese Technik ermöglichen, Sensoren in dem künstlichen Arm mit den Nerven des Tastsinns zu koppeln, sodass man den neuen Arm nicht nur steuern, sondern auch fühlen konnte. Auf diese Weise, so die Überlegung, würde sich eine Prothese irgendwann beinahe wie ein echter Körperteil anfühlen und so ein nahezu normales Leben ermöglichen.
Keine Frage, dass James Kidd, der Schwiegersohn des Frankfurter Prothesenbauers Heinz Raumeister, bei diesem Angebot keine Sekunde zögerte, ungeachtet des damit verbundenen, eher niedrigen Gehalts. Keine Frage auch, dass sie Christophers Großvater davon berichteten und über alle Entwicklungen auf dem Laufenden hielten.
Und keine Frage, dass sie alle wissen wollten, ob auf diesem Wege womöglich eine Schnittstelle geschaffen werden konnte, die es ermöglichen würde, Blinde wieder sehen zu lassen.
Das, sagte Dr. Connery, sei eine faszinierende Frage und eher eine Frage der Soft- als der Hardware. Einen elektrischen Impuls in einen Nervenimpuls umzuwandeln, oder umgekehrt, sei tatsächlich gar nicht so schwierig – das Schwierige sei zu wissen, was der Impuls jeweils bedeute. Wolle man eine solche Schnittstelle schaffen, so gelte es zuerst zu entschlüsseln, was im Sehnerv und im Sehzentrum eigentlich vor sich ging, wenn ein Mensch etwas sah. Doch wie man das anfangen sollte, wisse er, Dr. Connery, jedenfalls nicht.
Worauf ihm James Kidd geradeheraus erklärte, das habe nichts zu besagen, schließlich sei Dr. Connery ja Neurologe, kein Computerfreak. Er hingegen sei der Vater des berüchtigten Computer Kid, des besten Hackers der Welt. Wenn jemand imstande sei, so etwas herauszufinden, dann doch wohl Christopher und er.
Das, fand Dr. Connery nicht unbeeindruckt, sei zumindest den Versuch wert.
So machten sie sich an die Arbeit. Christopher begleitete seinen Vater an freien Nachmittagen in das Labor in London, und dort brüteten sie gemeinsam an ihren Computern über den Daten, die die Versuchsaufbauten von Dr. Connery lieferten. Als klar wurde, dass sie noch jemanden brauchen würden, der über eine gewisse Fertigkeit als Programmierer in Verbindung mit einem ausgeprägten Talent als Elektronikbastler verfügte, stieß ein Kollege aus der kleinen, obskuren Firma hinzu, ein uriger Typ namens Linus Meany.
Vom Aussehen her wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, in Linus jemanden zu vermuten, der mit Computern zu tun hatte. Er war ein stämmiger, breitschultriger Typ, der mehr Tätowierungen am Leib hatte als ein Rausschmeißer einer Nachtbar und Piercings jeder Art liebte. Entlang des linken Ohrs trug er nicht weniger als vierundzwanzig verschiedene Ringe – »einen für jede Freundin, die ich hatte«, erklärte er meistens, »aber jetzt muss ich entweder heiraten oder am rechten Ohr weitermachen« –, auf dem rechten Nasenflügel einen dicken
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