Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
Vom Netzwerk:
schwieg. Schließlichsagte er: „Es ist schwer, heutzutage einen Job zu finden, der einem gefällt. Außerdem ist er gut bezahlt.“
    â€žVerzeihen Sie, wenn ich indiskret werde, aber in der Kantine erzählt man sich, Sie hätten in Costa Rica an einem Forschungsprojekt mitgearbeitet.“
    â€žStimmt“, sagte Karl und legte den mittlerweile schweißfeuchten Papierball auf Lehners Schreibtisch.
    â€žHat es Ihnen dort nicht gefallen?“
    â€žDoch, war schon okay.“
    â€žAber?“
    â€žIch bin draufgekommen, dass ich kein Forscher bin.“
    Lehner presste die Lippen und zusammen und nickte. „Sie hätten trotzdem dort bleiben können“, sagte er. „Das Leben in Costa Rica ist doch billig, nehme ich an.“
    Vor seinem inneren Auge sah Karl ein Meer aus Orchideen, eine sanft im Wind wogende Farbenpracht aus weißen und rosafarbenen Blüten, die sich bis zum Horizont erstreckte. Er sah Rocín, die Hände in die Hüften gestemmt, sein langes und knochiges Pferdegesicht zu einem ekstatischen Grinsen verzogen. Und wenn er sich ein wenig anstrengte, sah er sich selbst, wie er neben Rocín stand und mit einem Gefühl satter Zufriedenheit die auf die Bäume aufgepflanzten Blumen betrachtete. Schließlich schüttelte er leicht den Kopf und sagte: „Für das, was ich dort unten vorhabe, nicht billig genug.“
    â€žVerstehe“, sagte Lehner, der kein Wort verstand und sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte. Er holte eine Tablettenschachtel aus einer der Schubladen und warf sie Karl zu, der sie auffing. „Ein Antihistamin“, sagte er. „Damit sollte das Jucken verschwinden.“
    â€žDanke“, sagte Karl und schob die Packung in die Gesäßtasche seiner Jeans.
    â€žUnd falls noch irgendwelche Beschwerden auftreten sollten …“
    â€žWende ich mich direkt an Sie“, sagte Karl und schnappte sich seinen Kittel.
    Lehner nickte.
    Beim Rausgehen drehte Karl sich noch einmal um und sagte: „Sie sollten die Schublade ganz schließen. Jemand könnte den Schnaps sehen.“
    Traurig lächelnd zog Lehner die Schublade heraus, entnahm ihr eine Flasche Obstler und sagte: „Welchen Schnaps?“

DREI
    Nachdem er Baumgartner rausgeschickt hatte, entledigte sich Patrick Berger seines Anzugs, schlüpfte in einen federleichten, metallisch glänzenden Trainingsanzug und ging hinaus auf die in der Sonne funkelnde Dachterrasse, wo er sich auf den Heimtrainer setzte, den zweitstärksten Widerstand einstellte und zu strampeln begann. Während er seine Kilometer runterspulte und ab und zu einen Blick auf die dichten Gräberreihen des Zentralfriedhofs warf, dachte er an das Telefonat, das er gestern Nachmittag mit Dave Penrose, dem Chef aus Amerika, wie Berger ihn insgeheim nannte, geführt hatte. Penrose hatte die neuesten Zahlen wissen wollen und Berger hatte sie durchgegeben, die Stimme ruhig, kühl, sachlich, obwohl er innerlich jubiliert hatte. Der Umsatz war im letzten Quartal um neun Prozent gestiegen und es gab keinen Grund anzunehmen, dass dieser Trend sich nicht fortsetzen würde. Penrose hatte ihn außerdem gefragt, wie es mit den Expansionsplänen aussehe, und Berger hatte gesagt, einen Moment, ich hol nur mal schnell meine Unterlagen, hatte sich zwanzig Sekunden in seinem mit unverschämt zartem Leder bezogenen Sessel zurückgelehnt und schließlich gemeint, einer Expansion stehe seinen Berechnungen nach nichts im Wege. Penrose hatte gelacht, laut und herzlich, und hatte gesagt, sie würden diesen blöden Russen mit ihrer dämlichen Sprache schon noch zeigen, wie die Marktwirtschaft funktioniere, nichtwahr, und Berger hatte ebenfalls gelacht und an Tatjana gedacht, die ihm immer von der Schönheit Moskaus vorschwärmte. Nach einer knappen Viertelstunde, die hauptsächlich mit dem Jonglieren von Zahlen vergangen war, hatte Berger den Vorschlag gemacht, es zunächst in Rumänien zu versuchen und erst dann den entscheidenden Schritt Richtung Russland zu wagen. Warum Rumänien, hatte Penrose gefragt, warum nicht, sagen wir, Tschechien, und Berger hatte ihm erklärt, dass alle EU-Betrittskandidaten an die strengen Umweltschutzgesetze der Europäischen Union gebunden seien, in Rumänien diese Bestimmungen aber nicht mal das Papier wert waren, auf das sie gedruckt wurden. Penrose hatte schließlich sein Einverständnis gegeben, Berger noch

Weitere Kostenlose Bücher